Viele Menschen lieben es, zu töten. Was zunächst einmal großartig ist, weil sie töten müssen, um zu überleben. Sie töten etwas, was sie essen können. Sie töten die Bakterien, bevor diese sie selbst töten. Sie töten aus Notwehr. Weil die Menschen in der Nahrungskette ganz oben stehen, werden sie als „Spitzenprädatoren“ bezeichnet. Julia Shaw erklärt: „Das liegt daran, dass Menschen, was die Quantität und Vielfalt angeht, mehr töten als jede andere Spezies.“ In einer wissenschaftlichen Abhandlung aus dem Jahr 2015 legen Chris Darimont und Kollegen dar, dass die Menschen so viel töten, dass sie weltweit ökologische und evolutionäre Prozesse verändern. Sie töten inzwischen so viel, dass es für viele Arten existenzbedrohend ist. Julia Shaw forscht am University College London im Bereich der Rechtspsychologie, Erinnerung und Künstlicher Intelligenz.
Tötungsgedanken sind weit verbreitet
Inmitten dieses Tötens gibt es eine Kategorie, die den Menschen am intensivsten berührt: das Töten von Mitgliedern der eigenen Spezies. Julia Shaw weiß: „Aber sie beschäftigt uns auf seltsame Weise, denn obwohl wir das Töten von Menschen verdammen, fantasieren viele von uns davon. Einige von uns fantasieren davon, ihren Chef aus dem Fenster zu werfen, das schreiende Baby für immer zum Schweigen zu bringen oder einen Ex-Lover direkt ins Herz zu stechen.“
Julia Shaw ist regelmäßig danach, Menschen nur ein kleines bisschen zu töten. Vor allem, wenn sie an Flughäfen herumtrödeln. Die Normalität von Mordfantasien – oder Tötungsgedanken, wie Forscher sie manchmal nennen – wurde erstmals von Douglas Kenrick und Virgil Sheets von der Arizona State University nachgewiesen. Im Jahr 1993 fragten diese beiden Psychologen Probanden, ob sie je Mordfantasien gehabt hätten. Die Mehrheit der Teilnehmer – 73 Prozent der Männer und 66 Prozent der Frauen – bejahte dies.
Mordfantasien sind eine evolutionäre Strategie
Männer stellten sich eher vor, Fremde oder Kollegen zu töten, während Frauen Familienmitglieder bevorzugten. Eine andere beliebte Zielgruppe waren Stiefeltern … eine Horrorfilmversion von Cinderella. Warum ist das so? Laut der Wissenschaftler Joshua Duntley und David Buss sind Mordfantasien eine evolutionäre Strategie, auch wenn deren Nützlichkeit in einem Großteil der modernen Welt fragwürdig ist. Sie sind Teil eines evolvierten psychologischen Mechanismus und ein Produkt der menschlichen Fähigkeit, abstrakt zu denken und hypothetisch zu planen – wenn ich dies täte, was würde dann passieren?
Julia Shaw erläutert: „Mordfantasien ermöglichen es uns, ganze Szenarien durchzuspielen. Sie helfen uns, immer auf das Schlimmste vorbereitet zu sein und Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen, unsere Lebensqualität zu verbessern, indem wir Leute loswerden, die zwischen uns und unseren Zielen stehen.“ Und wenn man diese Situationen im Geiste durchspielt, erkennen die meisten Menschen schnell, dass das Töten eines anderen nicht das ist, was sie wirklich wollen, dass sie nicht gewillt sind, die verheerenden Konsequenzen zu tragen. Quelle: „Böse“ von Julia Shaw
Von Hans Klumbies