In ihrem neuen Buch „Gegen die neue Härte“ beschreibt Judith Kohlenberger auf detaillierte Weise, wie eng gesellschaftlich brisante Probleme mit den Fragen von Migration und Flucht verbunden sind. Dabei stellt die Autorin fest, dass es eine neue Härte gibt, die immer tiefer in die Gesellschaft eindringt und mittlerweile vielerorts als „alternativlos“ gilt. Judith Kohlenberger schreibt: „Der politische Diskurs heizt sich immer weiter auf, gesellschaftliche Gräben werden tiefer, rechtspopulistische Kräfte erstarken, die bürgerlichen Institutionen verrohen und universale Rechte werden relativiert.“ Schuld daran, so die gängige Argumentation, seien „die Flüchtlinge“. Da immer mehr von ihnen gekommen seien, seien das System immer stärker unter Druck geraten und Kapazitäten an ihre Grenzen gelangt, sodass sich die Stimmung gedreht und ein Gefühl des Chaos und Kontrollverlusts um sich gegriffen habe. Judith Kohlenberger ist Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin am Institut für Sozialpolitik der WU Wien und dem Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip).
Zugewandtheit ist die Voraussetzung für Nähe und Verbundenheit
Judith Kohlenberger weist auf einen folgenreichen Trugschluss hin. Nicht die tatsächliche Überforderung war es, die Menschen verhärten ließ, sondern ihre ureigene Abwendung von denen, die kamen, und die Aberkennung ihrer Menschlichkeit durch die sukzessive Übernahme rechter, menschenverachtender Positionen und die Etablierung einer Politik der Abschottung nach innen und außen. Diese neue Härte entwickelt sich gerade zu einem neuen gesellschaftlichen und politischen Ideal.
Mit ihrem neuen Buch will Judith Kohlenberger der neuen Härte in der Gesellschaft nachspüren und gleichzeitig einen potenten Gegenentwurf bieten. Sie plädiert dabei nicht für Weichheit und Weichmacherei und auch nicht für grenzenlose Offenheit, sondern für materielle wie symbolische Zugewandtheit. Den sprichwörtlich „anderen“ gegenüber fehlt jedoch gegenwärtig diese grundlegende Zugewandtheit als Voraussetzung für Nähe und Verbundenheit.
Die scheinbar unverrückbare Grenze zum anderen muss aufgebrochen werden
Es ist also Zeit für eine Gegenstrategie, wie sie die Zugewandtheit bietet. Sich zuzuwenden, aber präzise, unverhandelbare Grenzen dort zu setzen, wo es nötig ist. Zuhören, kontextualisieren, sich der Erfahrung des anderen öffnen, ohne aber jemals das Eigene aufzugeben – so wie auch dem anderen das Anderssein zugestanden wird. Differenz aushalten, indem die Beweggründe und Positionen des anderen verstanden werden, selbst wenn man sie nicht teilt.
Das gelingt dann, wenn man mit den anderen zwar sachlich divergiert, ihm aber menschlich – eben universal – zugewandt bleibt. Judith Kohlenberger schreibt: „Dieses Buch ist ein Plädoyer, der neuen Härte die Stirn zu bieten, indem man an der vermeintlich unverrückbaren Grenze zum anderen Raum für Austausch, Nähe und Demokratisierung schafft.“ Die Autorin fordert die Menschen auf, kleine Löcher in die Mauern der Gegenwart zu bohren, um das Neue, Fremde, Inspirierende hereinzulassen. Dadurch bleibt man wahrlich einander zugewandt.
Gegen die neue Härte
Judith Kohlenberger
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Gebundene Ausgabe: 252 Seiten, Auflage: 2024
ISBN: 978-3-423-28448-6, 18,00 Euro
Von Hans Klumbies