Der gute Umgang mit Gefühlen ist ein Weg zur Weisheit

Eine wichtige Ressource der Weisheit umfasst die emotionale Sensitivität, also das aufmerksame und genaue Spüren der eigenen Gefühle. Dazu kommt die Regulation der eigenen Emotionen, den der Situation angemessenen Umgang mit diesen Gefühlen. Judith Glück schreibt: „Menschen, die aufmerksam dafür sind, wie es ihnen in bestimmten Situationen geht, können einerseits viel über sich selbst lernen und andererseits ihr Leben so einrichten, dass es möglichst im Einklang mit ihren Bedürfnissen ist.“ Natürlich gelingt das nicht in jedem Fall, denn es gibt immer noch immer genug unangenehme Dinge, die man nicht vorhersehen oder vermeiden kann. Das Ziel sollte ja auch nicht sein, sich vor allem zu schützen, was einem passieren könnte, aber man könnte zumindest sicherstellen, dass es auch Menschen und Dinge im eigenen Leben gibt, die einem guttun. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Gedankliche Erkenntnisse verändern auch das Fühlen

Wer sich beispielsweise jeden Tag schlecht fühlt, wenn er zur Arbeit geht, sollte er vielleicht über berufliche Alternativen nachdenken, dabei können emotionale Sensitivität und Offenheit für Veränderung kongenial zusammenwirken. Judith Glück ergänzt: „Wer aber im Großen und Ganzen im Einklang mit seinen Bedürfnissen lebt, ist auch in der Lage, Belastungen, die unweigerlich auftreten, gut zu bewältigen.“ Weisheit entwickelt sich vor allem durch die gedankliche Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen – sei es während einer schwierigen Zeit oder später im Rückblick.

Durch das Nachdenken und Sprechen oder auch Schreiben über die eigenen Gefühle kann man sich selbst oft klarer über sich selbst und die eigenen Bedürfnisse, aber auch über die Bedürfnisse und Grenzen anderer Menschen und die im Zusammenleben erforderlichen Kompromisse werden. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der menschlichen Psyche, dass solche gedanklichen Erkenntnisse auch das Fühlen verändern können. Emotionale Sensitivität fördert also Weisheit, indem sie den Weg zur Selbsterkenntnis öffnet.

Weise Menschen genießen bewusst die guten Momente des Lebens

Judith Glück erklärt: „Emotionsregulation ist vor allem ein Ergebnis unserer Auseinandersetzung mit unseren Gefühlen, kann uns aber ihrerseits auch wieder zu neuen Erkenntnissen verhelfen – darüber, wie wir mit Gefühlen gut umgehen können, um unsere eigenen Grenzen einzuhalten, ohne die Grenzen anderer Menschen zu überschreiten.“ Wirklich zu empfindsam kann man eigentlich nicht sein, aber man kann zu sehr auf die eigenen Gefühle fokussiert sein. Nicht selten gibt es Menschen, die sich sehr intensiv und liebevoll mit sich selbst und ihren Bedürfnissen auseinandersetzen und dadurch den Blick auf die Bedürfnisse anderer verlieren.

Kurzfristig tut die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen nicht immer gut. Es ist daher wichtig, aufmerksam für die eigenen Grenzen zu sein. Auch dies gehört für Judith Glück zur Weisheit: „Weise Menschen haben Mitgefühl mit sich selbst und wissen, wie sie Gutes tun können.“ Ganz wichtig bei der Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen ist es, sich nicht nur auf die negativen zu konzentrieren. Weise Menschen sind sich bewusst, wie schwer das Leben sein kann, und gerade daher genießen sie auch die guten Momente und wissen, wie sie sich solche ganz gezielt verschaffen können. Quelle: „Weisheit“ von Judith Glück

Von Hans Klumbies