Leben zu bewahren ist nicht einfach

Was bringt Menschen dazu, das Leben anderer bewahren zu wollen? Dabei geht man immer von bestimmten Annahmen darüber aus, was eigentlich als Leben zählt. Judith Butler erklärt: „Diese Vorannahmen betreffen nicht nur das Wo und Wann des Lebensbeginns und die Art des Lebensendes, sondern, vielleicht auf einer anderen Ebene, auch die Frage, wessen Leben als Leben zählt.“ Die Frage, was einen Menschen zum Schutz einer bestimmten anderen Person bewegt, setzt eine dyadische Beziehung voraus. Man kennt das andere Individuum, vielleicht auch nicht. In jedem Fall ist man unter bestimmten Umständen möglicherweise in der Lage, Gefahr von dem Anderen abzuwenden oder einer zerstörerischen Kraft Einhalt zu gebieten. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

Manche Gründe sprechen für den Schutz eines Lebens

Was tut man und warum? Und was rechtfertigt die Schritte, die man schließlich unternimmt? Diese Fragen scheinen ins Gebiet der Moralphilosophie und der Moralpsychologie zu gehören, ohne deren Fragehorizonte zu erschöpfen. Impliziert ist hier nicht nur die Frage, was als Leben zählt, sondern auch die, wessen Leben als der Bewahrung wert gilt. Wenn das ein Leben ist, das nicht zählt, ist es denn nicht trotzdem ein Leben? Man kann sich beispielsweise an die Psychoanalyse wenden, um nach den Gründen dafür zu fragen, ein Leben nicht zu beenden und ein Leben schützen zu wollen.

Judith Butler erläutert: „Dabei geht es nicht um die Beziehung von Individual- und Gruppenpsychologie. Denn beide überschneiden sich immer, und noch unsere singulären und subjektiven Dilemmas verweisen uns auf eine weiter gefasste politische Welt.“ Das „ich“ und das „du“, das „sie“ und das „wir“ – alle implizieren einander. Und das ist nicht nur logisch, sondern gelebt als ambivalente soziale Bindung, die ständig die ethische Frage des Umgangs mit Aggression aufwirft.

Manchmal kann man „gefährdete Gruppen“ identifizieren

Eine weitere Frage lautet: Wer gehört zur „schützenden“ Gruppe und wer gilt als „schutzbedürftig“? Bedürfen nicht auch „wir“ der Bewahrung unseres Lebens? Ist das Leben der Fragenden hier das gleiche wie das der anderen? Ist dieses „wir“ wirklich von jenen „anderen“ Leben zu trennen, die wir vielleicht bewahren wollen? In bestimmten Fällen kann man „gefährdete Gruppen“ identifizieren. Der Diskurs über gefährdete Bevölkerungsgruppen war sowohl für die feministische Menschenrechtsarbeit wie für die Ethik der Fürsorge wichtig.

Judith Butler betont: „Denn wird eine Gruppe als „gefährdet“ eingestuft, kann sie dank dieses Status Schutz verlangen. Dann stellt sich die Frage: An wen richtet sich diese Forderung und welche Gruppe hat für den Schutz der Gefährdeten zu sorgen?“ Auf der anderen Seite: Werden diejenigen, die für den Schutz gefährdeter Gruppen Verantwortung übernehmen, ihrerseits durch diese Benennungspraxis zu nicht Gefährdeten? Es geht hier natürlich darum, auf die ungleiche Verteilung der Gefährdung hinzuweisen. Quelle: „Die Macht der Gewaltlosigkeit“ von Judith Butler

Von Hans Klumbies

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