Viele Menschen befinden sich auf der Flucht vor dem Eros

Das griechisch Wort Eros, das in alle europäischen Sprachen übernommen worden ist, ist für Josef Pieper weit weniger eindeutig, als es mancher Interpret behauptet. Sein Bedeutungsfeld ist reich dimensioniert. Platon zum Beispiel nennt all das folgende Eros: „Die am Leibhaftig Schönen sich entfachende Zuneigung; den rauschhaften gottgesandten Wahnsinn; den Impuls der philosophierenden Bedenkung von Welt und Existenz; die Kraft des Aufstiegs zur Schau des Göttlich-Schönen.“ Sophokles gebraucht das Wort Eros im Sinne der „leidenschaftlichen Freude“. Dabei wird hier die wesentliche Zusammengehörigkeit von Liebe und Freude in den sprachgebräuchlichen Sinn von Eros mit hineingenommen. Für die alten Lateiner wie Aristophanes, Plautus oder Terenz war Sex kein Thema. Was sie interessierte, war amor. Josef Pieper, der von 1904 bis 1997 lebte, war ein deutscher christlicher Philosoph.

Der Begriff love kennzeichnet die eigentliche Liebe

Der Amerikaner Rollo May Psychologe Rollo May, ein Autor bedeutender kulturanthropologischer Schriften, behauptet: „ Wir befinden uns auf der Flucht vor dem Eros, und wir benutzen Sex als Vehikel der Flucht.“ Im Englischen unterscheidet man zwischen to like und zwischen to love. Laut Josef Pieper könnte man sie zunächst so verstehen, dass die erste Vokabel primär auf Sachen, die zweite allein auf Personen bezogen ist. Es ist seiner Meinung nach nicht die Intensität des Gefühls, die den Unterschied ausmacht; vielmehr handelt es sich jeweils um einen der Art nach anderen Modus der Zuwendung.

Die Vokabel like kann natürlich auch auf eine Person bezogen sein, denn es bedeutet dann soviel wie jemanden mögen, ihn nett und sympathisch finden. Love dagegen ist die engagiertere, die Person des anderen meinende, eigentliche Liebe. Man kann also von jemandem sagen: „I like him, but I do not love him”. Dennoch kann eine Person eine andere lieben, auch wenn sie mancherlei an ihr nicht mag. Daher ist es folglich ein den Kern der Sache verfehlender Einwand gegen das Gebot der Nächstenliebe, zu sagen, es sei doch zu viel verlangt, jemanden sympathisch finden zu sollen.

Augustinus: „Geliebt wird einzig das Schöne“

Die Liebe schließt immer schon eine gefügte Zuordnung von Liebendem und Geliebtem ein und beruht auf ihr. Sie hat nicht nur die Einheit zur Frucht und schafft diese, sondern sie ist auch bereits in ihr vorausgesetzt. Der Religionsphilosoph Paul Tillich hat diesen Sachverhalt geradezu in seine Definition der Liebe aufgenommen: „ Liebe ist nicht so sehr Vereinigung von einander Fremden, als vielmehr Wiedervereinigung voneinander Entfremdeter; Entfremdung kann es aber nur geben aufgrund eines vorausliegend ursprünglichen Einsseins.“

Für Platon ist die Qualität, wodurch etwas überhaupt zum Gegenstand möglicher Liebe wird, die Schönheit. Der lateinische Kirchenlehrer und Philosoph Augustinus ist ähnlicher Ansicht: „Geliebt wird einzig das Schöne. Wir können nichts anderes lieben als was schön ist.“ Eine alte Definition sagt auch: „Schön sein heißt, so viel wie im Anschauen gefallen.“ Daraus folgt: Es kann offenbar keine wahre Liebe geben ohne ein zustimmendes Betrachten, das noch gar nicht haben will. Josef Pieper vertritt die These dass niemand die Liebe in ihrer vollen Erstreckung und Tiefe zu erfassen vermag, solange er nicht die Liebe Gottes zu den Menschen bedacht hat.

Von Hans Klumbies