Die Vergebung ist einer der entscheidenden Grundakte der Liebe

In der liebenden Zuwendung kann auch etwas Beschämendes liegen, obwohl sie den Geliebten in seinem Dasein gerade bestätigt. Schon dieser nur auf den ersten Blick paradoxe Sachverhalt besagt, dass Liebe nicht dasselbe ist wie unterschiedslose Billigung all dessen, was der geliebte Mensch denkt oder tut. Josef Pieper fügt hinzu: „Hiermit hängt es zusammen, dass Liebe auch nicht dasselbe ist wie der Wunsch, der andere, der Geliebte, möge sich einfachhin und in jedem Falle wohlfühlen und es möge ihm unter allen Umständen erspart bleiben, Schmerz zu erfahren.“ Schon Augustinus wusste das: „Die bloße Gutherzigkeit, die alles duldet, nur nicht, dass der Geliebte leidet, hat mit wirklicher Liebe nichts zu tun.“ Josef Pieper, der von 1904 bis 1997 lebte, war ein deutscher christlicher Philosoph.

Die Liebe kann das Schlechte nicht akzeptieren

Laut Josef Pieper kann sich kein Liebender damit abfinden, dass der, den er liebt, dem Guten das Bequeme vorzieht. Zudem ist die Vergebung einer der Grundakte der Liebe. Damit ist allerdings nicht gemeint, etwas Schlechtes „gut sein zu lassen“, es einfach nicht wichtig zu nehmen, als sei da nur ein Versehen passiert. Josef Pieper erklärt: „Vergeben kann man nur etwas, dass man ausdrücklich für schlimm hält und dessen Negativität man gerade nicht ignoriert. Allein auf solche Weise übrigens nehme ich die personale Würde des anderen ernst.“

Andererseits setzt, so scheint es, die Vergebung voraus, dass der andere selbst verurteilt und bereut, was er getan hat, und dass er überdies die Vergebung akzeptiert. Außerdem kann einer nur etwas vergeben und verzeihen, was ihm selbst angetan worden ist. Zudem wird der wahrhaft Liebende sich nicht damit abfinden, den Geliebten in einem Selbstbetrug zu lassen. Er muss wünschen, dass er sich daraus befreit. Josef Pieper ergänzt: „Jedenfalls kann die Liebe das Schlechte nicht akzeptieren; sie entschuldigt nichts.“

Wohlwollen allein reicht für die Liebe nicht aus

Es bleibt für Josef Pieper bestehen: Einen Menschen zu lieben heißt nicht, dass er frei von jeder Beschwernis leben, sondern dass es in Wahrheit gut um ihn bestellt sein möge. Auf die Frage, ob das Wohlwollen schon das Wesen der Liebe ausmacht, gibt Josef Pieper drei Antworten: „Erstens ist es beileibe nicht wenig, wen ein Mensch einem anderen aufrichtiges Wohlwollen entgegenbringt. Zweitens gibt es sicher keine wahre Liebe, ohne dass der eine dem anderen etwas Gutes oder vielmehr „das“ Gute“ wünscht.“

Josef Pieper fährt fort: „Drittens: Wohlwollen ist nicht schon genug, damit von Liebe gesprochen werden kann.“ Thomas von Aquin hat die dritte Antwort wie folgt ausgedrückt: „Liebe bedeutet, einem anderen alles zu wünschen, was man für gut hält, und zwar um jenes anderen, nicht um seiner selbst willen.“ Für Thomas von Aquin gibt es keine Liebe ohne dieses Wohlwollen, doch er könnte sich ein Wohlwollen vorstellen, das etwas anderes ist als Liebe. Darauf könnte man antworten: Natürlich ist Wohl-wollen nicht genug; es muss zum Wohl-tun werden.

Von Hans Klumbies