José Ortega Y Gasset tritt für eine Kultur der Liebe ein

In dem Begriff der Liebe sieht José Ortega Y Gasset verschiedene Bedeutungen aufschimmern. Die erste ist eine bestimmte Art seelischer Erscheinung, die man Liebe zu Gott, Liebe zur Wissenschaft oder Liebe zur Kunst nennt. Die zweite ist die Gesamtheit der Dinge, von denen eine sexuelle Anziehung ausgeht. Für José Ortega Y Gasset besteht kein Zweifel, dass sowohl jene hohe Liebe wie auch diese körperliche Liebe irgendwie im Spiel ist, wenn von der Liebe zu einer Frau gesprochen wird. Über die Magie der Liebe schreibt er: „Der Zauber der Liebe beruht zum Teil auf ihrer poetischen Begabung: sie füllt die Welt ringsum mit Regenbogenglanz und schmückt sie mit Stickereien. Auf dem Gipfel des Liebesgeschehens gibt es Verklärungen wie auf dem Berge Tabor.“

José Ortega Y Gasset stellt den Ewigkeitsgedanken der Liebe in Frage

José Ortega Y Gasset kennt den höchsten Augenblick, an dem sich zwei Liebende ewige Treue schwören. Dennoch kann es vorkommen, dass die Liebe im Herzen erstirbt. Aber die Religion, die Moral und das Recht haben den Schwur mitgehört und zwingen die Liebenden dazu, den Leichnam der Liebe ewig in ihren Herzen mitzuschleppen. José Ortega Y Gasset sagt: „Denn wie in der Kunst wie in der Liebe schwindet der Zauber, wenn wir sie für wirklich nehmen.“

Laut José Ortega Y Gasset wäre es gerecht, wenn der Liebe die freie Wahl gelassen würde, ihre Ewigkeit zu beschwören oder nicht. Dann könnte man den Menschen für diese freiwillig übernommene Verpflichtung verantwortlich machen. Aber es gibt in diesem Fall keine freie Wahl. Nicht der Liebende schwört, nein, die Liebe selbst identifiziert sich in all ihrer Überfülle mit dem Schwur. José Ortega Y Gasset erklärt: „Solang es die Moral nicht zustande bringt, die Natur der Liebe zu wandeln, ist die Liebe verantwortlich und nicht der Mensch, den sie überfällt.“

Die natürliche Liebe braucht keine mystischen Kräfte

José Ortega Y Gasset untersucht den Höhepunkt der Liebe und stellt fest, dass er in einem Bewusstsein absoluter gegenseitiger Durchdringung besteht. Die Liebenden fühlen, dass sie sich auflösen und ineinander verschmelzen. Ihr ganzes Selbst geht in dem jeweils anderen auf. José Ortega Y Gasset erläutert: „Es kennzeichnet diese Situation am besten, dass selbst der leiseste Vorbehalt mit ihr unvereinbar ist. Psychologisch ist es unmöglich, in vollem Maße zu lieben und doch gleichzeitig Vorbehalte zu machen.“ Denn für José Ortega Y Gasset besteht die Liebe geradezu in dem Genuss der Vorbehaltlosigkeit, des Gefühls, gänzlich von der geliebten Person durchdrungen zu sein.

Die Menschen brauchen laut José Ortega Y Gasset eine neue Kultur der Liebe, denn sein Zeitalter mit seiner stupiden Sinnlichkeit, zählt für ihn zu denen, die am wenigsten über die Liebe nachgedacht haben, die am wenigsten in der Liebe gebildet sind. Der spanische Denker möchte seinen Lesern verdeutlichen, dass die natürliche Liebe weit davon entfernt ist, irgendwelche mystischen Kräfte in sich zu bergen, sondern ein alltäglicher psychologischer Vorgang ist, der sich stündlich im Inneren des Menschen vollzieht.

Von Hans Klumbies