Finanzielle Anreize sind stärker als Motivationen

Es kann sein, dass finanzielle Anreize bereits vorhandene Motive für ein bestimmtes Verhalten verdrängen. Diese Verdrängung oder Ersetzung dieser vorherigen Motivation kann sogar permanent sein. Das kann dazu führen, dass selbst wenn die finanziellen Anreize zurückgezogen werden, das ursprüngliche Verhalten sich nicht wieder einstellt. Einer der Gründe, warum die durch Anreize erfolgte Prägung selbst nach deren Wegfall anhalten kann, liegt für Jonathan Aldred auf der Hand: „Die Betroffenen erinnern sich an die Botschaft, die den Anreizen zugrunde lag, dass sie unzuverlässig, inkompetent oder Ähnliches seien.“ Aber selbst wenn den ausdrücklichen Anreiz nicht solche negativen Signale begleiten, kann der Verdrängungseffekt auch dann noch anhalten, wenn der Anreiz weggefallen ist. Jonathan Aldred ist Direktor of Studies in Ökonomie am Emmanuel College. Außerdem lehrt er als Newton Trust Lecturer am Department of Land Economy der University of Cambridge.

Geldgeschenke sind nicht das beliebteste Geschenk

Wie ist das zu erklären? Es ist richtig, dass die Reaktion auf ein Geschenk von den Motiven des Schenkenden abhängt. Aber noch offensichtlicher hängt sie von der Art des Geschenks ab. Jonathan Aldred erläutert: „Die orthodoxe Wirtschaftstheorie besagt, das beliebteste Geschenk sei Geld, weil man damit genau das kaufen kann, was man haben will.“ Dennoch sind Geldgeschenke nicht üblich, da die meisten Menschen wissen, dass dieses Argument an der Sache vorbeigeht.

Die besten Geschenke würdigen etwas an der Beziehung zwischen Schenkendem und Empfangendem. Bei solchen Geschenken geht es um mehr, als die Bedürfnisse des Empfängers zu erfüllen. Denn immerhin ist es ja so, dass man, wenn man Geld geschenkt bekommt, es in der Regel für nichts Aufregendes ausgibt. Der Unterschied zwischen Geldgeschenken und anderen Geschenken ist also bemerkenswert. Menschen reagieren auf Hinweisreize, die nahelegen, welches Verhalten angemessen ist in der Situation, in der sie sich gerade befinden.

Konsumenten lassen die Moral bereitwillig hinter sich

Zuckerbrot und Peitsche in Form von finanziellen Anreizen rufen wahrscheinlich ein bestimmtes Verhalten hervor. Das gleiche Gebaren legt der Betroffene sonst bei seinen finanziellen Transaktionen an den Tag. Denn dann denkt er wie ein Verbraucher. Manchmal verhalten sich Menschen wie „moralische Konsumenten“. Dennoch sind ihre Beziehungen zu Verkäufern anonymer und kurzlebiger als ihre Beziehungen außerhalb des Marktes, etwa in der Gemeinde, der Familie oder am Arbeitsplatz.

Jonathan Aldred weiß: „Ökonomen haben lange die Vorteile unserer einmaligen, anonymisierten, transaktionsorientierten Beziehungen auf Märkten gefeiert.“ Wenn man ein Geschäft abschließt, kann man ausschließlich den eigenen Interessen folgen. Und wenn das Geschäft abgeschlossen ist, ist man quitt, ohne offene Verpflichtungen oder Verantwortlichkeiten gegenüber der anderen Partei. Das hat zur Folge, dass man die Moral bereitwilliger hinter sich lässt, wenn man als Konsument denkt. Quelle: „Der korrumpierte Mensch“ von Jonathan Aldred

Von Hans Klumbies