Katzen sind eingefleischte Realisten

Katzen tun selten etwas, was nicht einem Zweck dient oder unmittelbare Freude bereitet, denn Katzen sind eingefleischte Realisten. Konfrontiert mit menschlicher Torheit, gehen sie einfach ihrer Wege. Menschen können zwar keine Katzen werden. Doch wenn sie sich nicht für überlegene Wesen hielten, würden sie vielleicht verstehen, wie Katzen ein gutes Leben führen können, ohne sich ängstlich zu fragen, „wie“ sie leben sollen. John Gray erklärt: „Katzen brauchen keine Philosophie. Sie gehorchen ihrer Natur und sind zufrieden mit dem Leben, das diese ihnen schenkt. Beim Menschen dagegen scheint Unzufriedenheit mit seiner Natur zu dieser Natur zu gehören.“ John Gray lehrte Philosophie unter anderem in Oxford und Yale. Zuletzt hatte er den Lehrstuhl für Europäische Ideengeschichte an der London School of Economics inne.

Der Ursprung der Philosophie ist Angst

Mit vorhersehbar tragischen und lächerlichen Ergebnissen strebt das menschliche Tier unablässig danach, etwas zu sein, was es nicht ist. Katzen bemühen sich darum nicht. Während ein Großteil des menschlichen Lebens Streben nach Glück ist, ist Glück bei Katzen der Zustand, der sich von selbst einstellt, wenn konkrete Bedrohungen für ihr Wohlbefinden beseitigt sind. Vielleicht ist das der Hauptgrund, warum so viele Menschen Katzen lieben. Katzen ist ein Glück angeboren, das Menschen oft nicht erreichen.

John Gray stellt fest: „Der Ursprung der Philosophie ist Angst. Und Katzen leiden nicht unter Angst – es sei denn, sie werden bedroht oder befinden sich an einem ihnen fremden Ort. Für Menschen ist die ganze Welt bedrohlich und fremd.“ Religionen sind Versuche, ein unmenschliches Universum für Menschen bewohnbar zu machen. Die Philosophen haben den Glauben oft als weit unter ihren metaphysischen Spekulationen stehend abgetan. Aber Religio und Philosophie dienen demselben Bedürfnis. Beide versuchen, das ständige Unbehagen abzuwehren, das zum Menschsein gehört.

Katzen lassen sich nicht von Wörtern beherrschen

Dass Katzen die Fähigkeit zum abstrakten Denken fehlt, ist kein Beweis dafür, dass sie den Menschen unterlegen sind. Sondern es ist ein Zeichen von geistiger Freiheit. John Gray stellt fest: „Das Denken in Allgemeinbegriffen führt leicht zu einem Aberglauben an die Sprache. Ein Großteil der Geschichte der Philosophie basiert auf der Anbetung abstrakter Fiktionen.“ Katzen dagegen verlassen sich auf das, was sie berühren, riechen und sehen können. Sie lassen sich nicht von Wörtern beherrschen.

Die Philosophie zeugt von der Schwachheit des menschlichen Geistes. Menschen philosophieren aus demselben Grund, aus dem sie beten. Sie wissen, dass der Sinn, dem sie ihrem Leben gegeben haben, zerbrechlich ist. Und sie leben in der Furcht, dass er tatsächlich zerbricht. Der Tod ist das ultimative Zerbrechen des Sinns, da er das Ende jeder Geschichte markiert, die Menschen sich erzählt haben. Also stellen sie sich vor, in ein Leben jenseits des Körpers in einer der Zeit enthobenen Welt überzugehen und ihre Geschichte in diesem anderen Reich weiterzuleben. Quelle: „Katzen und der Sinn des Lebens“ von John Gray

Von Hans Klumbies