Eltern formen ihre Kinder gewollt und ungewollt

Wie die meisten Erwachsenen bestätigen können, haben ihre Eltern und ihre Art der Erziehung großen Einfluss darauf, was später einmal aus einem Menschen wird. John Bargh erläutert: „Das ist auf das zurückzuführen, was sie uns bewusst und mit Absicht zuteilwerden lassen: Liebe, Führung und Bestrafung. Und ebenso auf das, was sie uns unbewusst zukommen lassen: Liebe, Führung und Bestrafung, etwa dann, wenn wir sie in Momenten beobachten und von ihnen lernen, in denen sie es nicht merken.“ Das heißt, die Eltern formen ihre Kinder sowohl auf gewollte als auch auf ungewollte Weise, vor allem wenn sie noch sehr klein und formbar sind. Prof. Dr. John Bargh ist Professor für Psychologie an der Yale University, wo er das Automaticity in Cognition, Motivation, and Evaluation (ACME) Laboratory leitet.

Kinder imitieren das Verhalten der Eltern

Sicherlich treffen die Eltern bewusste Entscheidungen, aber in der täglichen Betriebsamkeit sind sie einen Großteil der Zeit nur sie selbst und müssen sich mit vielen anderen Dingen herumschlagen. Kinder nehmen das Verhalten der Eltern auf und imitieren es. Einer der stärksten Einflüsse, den Eltern auf ihren Nachwuchs ausüben und die den Rest ihres Lebens wirksam bleiben, betrifft das Grundvertrauen gegenüber anderen Menschen. Ausschlaggebend dafür, ob man ein solches Vertrauen entwickeln kann, ist die Erfahrung der Kinder mit ihren Eltern oder Betreuern, deren Verhältnis zu ihnen und ob sie sich bei ihnen sicher fühlen.

John Bargh schreibt: „In der Forschung zur Kindesentwicklung wird dies als Bindung an unsere Eltern bezeichnet, und diese Bindung kann eine sichere oder auch eine unsichere sein. Wir wissen oder spüren intuitiv, ob wir auf unsere Eltern zählen können und sie für uns da sind, wenn wir sie brauchen.“ Bemerkenswerterweise entsteht dieses Gefühl der Bindung ungefähr im Alter von einem Jahr. Sicher gebundene Kinder vertrauen ihrer Mutter. Unsicher gebundene Kinder jedoch werden in einer nicht vertrauten Situation weinen, unglücklich sein und sogar Panik zeigen.

Aktuelle Gefühle rühren womöglich aus der frühen Bindung an die Eltern her

Als Erwachsene haben unsicher gebundene Menschen häufig Schwierigkeiten mit Freundschaften und Liebesbeziehungen und misstrauen ihren Partnern. Doch nur selten kommt ihnen in den Sinn, dass ein Teil des Problems in den verborgenen Akten ihrer Lebensgeschichte liegen könnte. John Bargh ergänzt: „Stattdessen beschäftigen sie sich meist mehr mit der Gegenwart, mit dem, was ihrem Bewusstsein ohne Weiteres verfügbar ist, denn schließlich ist es dieser bewusste Teil unseres Geistes, der zu verstehen versucht, was vor sich geht.“

Die meisten Menschen erkennen nicht, dass die Gefühle, die sie anderen gegenüber haben, womöglich aus ihrer frühen Bindung an ihre Eltern herrühren. Natürlich kann diese vergessene Vergangenheit ebenso ein Segen wie ein Fluch sein. Sie hat auch Folgen für die Glücklichen unter den Menschen, die ihren Freunden vertrauen, die zulassen, dass andere ihnen nahekommen, und die in der Regel anhaltende und glücklichere Beziehungen pflegen. Aber auch ihnen ist die Tatsache nicht bewusst, dass ihr Empfinden zu einem großen Teil aus den Erfahrungen als Kleinkind herrührt. Quelle: „Vor dem Denken“ von John Bargh

Von Hans Klumbies