Der menschliche Geist ist eine Art Spiegel

Selbst komplexe Handlungsmuster bedürfen nicht unbedingt einer bewussten Entscheidung. William James schrieb in seinem berühmten Kapitel „Der Willen“ von 1890, dass menschliches Verhalten aus unbewussten und nicht intentionalen Quellen entspringt, auch das Verhalten, das dem, was jemand gegenwärtig in der Welt erlebt und sieht, angemessen ist und ihm nahegelegt wird. Die bewussten Willensakte, so William James, sind Akte der Kontrolle über diese unbewussten Impulse, die manche durchlassen, andere hingegen nicht. John Bargh erläutert: „Der menschliche Geist ist eine Art Spiegel: Er generiert potenzielles Verhalten, das die Situation und die Umgebung widerspiegelt, in der man sich gerade befindet. Bevor man es merkt, wird das, was man tut, von dem bestimmt, was man sieht.“ Prof. Dr. John Bargh ist Professor für Psychologie an der Yale University, wo er das Automaticity in Cognition, Motivation, and Evaluation (ACME) Laboratory leitet.

Verborgene Impulse bestimmen weitgehend das Handeln im Augenblick

Die verborgenen Impulse eines Menschen bestimmen weitgehend und in starkem Maße sein Handeln im Augenblick. Auch das Verhalten und die Emotionen anderer färben auf einen Menschen ab, nicht nur, wenn man sie direkt und persönlich erlebt, sondern auch, wenn man etwas über sie liest oder im Nachhinein Zeichen von ihnen findet – die sichtbaren Folgen ihres Tuns. Die „Vorschläge“, wie ein Mensch angesichts dessen handeln soll, was er im Augenblick wahrnimmt, gehen über ein mögliches unbewusstes Nachahmen der physischen Handlungen anderer hinaus.

Es können auch komplexe Verhaltensformen sein, die einer persönlichen Erfahrung nach für ein bestimmtes Umfeld geeignet sind – also das, was Menschen im Allgemeinen tun, wenn sie sich in einem Garten, einem Museum oder einem Schlafzimmer befinden. Die Sinne eines Menschen geben ihm ununterbrochen subtile Hinweise, die ihn veranlassen, sich nobel oder schlecht zu verhalten und beeinflussen seinen Geist, während er sich in der Gegenwart orientiert. Man ist sich dieser Einflüsse nicht bewusst, und deshalb glaubt man, dass man autonom handelt.

Menschen neigen zur Anpassung

Jeder schenkt den anderen Menschen in seiner Umgebung viel Aufmerksamkeit. Ständig. Tag für Tag nimmt man wahr, wie andere etwas tun: ihre Gesten oder Eigentümlichkeiten, ihre Körperhaltung und ihren emotionalen Ausdruck, den Ton und das Volumen ihrer Stimme, den Inhalt dessen, was sie sagen, schreiben und in sozialen Medien posten. Und was ein Mensch sieht und hört, bewirkt auf natürliche Weise, dass man sich genauso verhält – man imitiert die anderen unbewusst.

Man tut das nicht absichtlich. Was laut Charles Darwin für den eigenen emotionalen Ausdruck gilt, gilt auch für das Nachahmen anderer: Es kann absichtlich oder unabsichtlich stattfinden, aber meist tut man es, ohne es zu merken. Diese Neigung zur Anpassung ist natürlich nicht nur den Menschen eigen. Die meisten Menschen haben sicherlich schon einmal bewundert, wie sich Fischschwärme und Vogelscharen bewegen, als wären sie eins, ein Körper. In diesem Fall kommen die Spiegelungen völlig automatisch und unwillkürlich zustande. Quelle: „Vor dem Denken“ von John Bargh

Von Hans Klumbies