Spiegelzellen sorgen für emotionale Ansteckung

Nicht nur die Beobachtung von Taten, sondern auch das Lesen oder Hören von Wörtern kann eine Macht haben. Damit kann man das Befinden, Fühlen und Denken anderer Menschen – und damit auch deren freien Willen – verändern. Joachim Bauer erklärt: „Diese sublime Methode der Beeinflussung beruht auf Phänomenen, welche durch das System der Spiegelneurone verursacht werden.“ Spiegelnervenzellen sind neuronale Netzwerke. Diese werden aktiviert, wenn Abläufe, die sie im eigenen Körper auslösen könnten, tatsächlich nicht im eigenen, sondern im Körper eines anderen Menschen stattfinden. Spiegelneurone sind ein neuronales Resonanzsystem. Die eigenen Spiegelzellen reagieren auf andere Menschen allerdings nur dann, wenn diese anderen sich im Wahrnehmungshorizont der eigenen fünf Sinne befinden. Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer lehrt an der Universität Freiburg.

Menschen imitieren unbewusst Bewegungen des Gegenübers

Joachim Bauer erläutert: „Spiegelnervenzellen lassen uns fühlen, was andere fühlen, und intuitiv verstehen, was andere tun. Sie bilden nicht nur einen Teil der neuronalen Grundlagen der Empathie. Sondern sie bilden auch die neurobiologische Basis für die sogenannte emotionale Ansteckung oder für die unbewusst ausgelöste Imitationshandlungen.“ Daraus ergeben sich Möglichkeiten, andere zu manipulieren. Spiegelneurone können auch ohne Beteiligung des Bewusstseins in Resonanz gehen. Daher können sie am freien Willen vorbei Einfluss auf das Erleben und Verhalten nehmen.

Zu ihren typischen Effekten gehört die unbewusste Tendenz des Menschen, bestimmte Bewegungen des jeweiligen Gegenübers unwillkürlich zu imitieren, also zu spiegeln. Tatsächlich können Menschen ohne die Resonanzen, die andere mit ihrer Sprache oder Körpersprache zurückspiegeln, gar nicht leben. Alle Menschen reagieren, ob sie es wollen oder nicht, auf Menschen, die ihnen im Alltag begegnen, fortwährend mit Resonanzen. Manchmal geschieht dies durch das, was man sagt, mehr aber noch dadurch, wie man etwas sagt.

Der freie Wille braucht die Erkenntnis der Wahrheit

Am stärksten wirken die Resonanzen, die man anderen Menschen mit der eigenen Köpersprache zurückmeldet. Zum Beispiel durch Blicke, durch die Mimik, durch die Körperhaltung und die Art, wie und wohin man sich bewegt. Die Rückspiegelungen, die Menschen – vor allem Kinder – von anderen erhalten, vermitteln eine Botschaft. Diese finden Eingang in das eigene Selbstgefühl. Was man sich auf diese Art meist unbewusst gegenseitig zusendet, sind in einem hohen Maße sich selbst erfüllende Prophezeiungen.

Sublime Effekte wie Priming, neuronale Resonanz- und Spieglungsprozesse und bedrohliche Zuschreibungen bilden bestimmte Mechanismen. Diese können die Selbstkontrolle von Menschen stören und ihren freien Willen beeinflussen. Wer anderen zum Beispiel mit Vorurteilen begegnet, ist selbst bereits einer Beeinflussung seiner freien Willensbildung erlegen. Der freie Wille, so würde man es sich auf den ersten Blick wünschen, sollte aber nicht auf Beeinflussungen, sondern auf der Erkenntnis der Wahrheit beruhen.

Von Hans Klumbies