Das Kind übernimmt Modelle in sein Selbst

Das Gehirn des Menschen wird in weiten Teile sozial konstruiert. Einem angeborenen Bedürfnis ihres Zentralorgans folgend, suchen Säuglinge und Kleinkinder bei ihren Bezugspersonen nach den Eindrücken, die sie in sich aufnehmen. Diese legen sie als Kopie in sich ab und machen sie zu einem Teil ihres Selbst. Der unausgesprochene Auftrag des Kindes an seine Bezugspersonen ist: Lass mich – durch die Resonanz, die ich von dir erhalte – spüren, dass ich existiere. Zeige mir durch die Art, wie du auf mich reagierst, wer ich bin. Joachim Bauer erläutert: „Das Kind übernimmt nicht nur gute, sondern auch schlechte Modelle. Diese begegnen ihm am Beispiel seiner Bezugspersonen, Mentoren oder sonstiger Vorbilder. Es integriert sie in sein Selbst.“ Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.

Bindungen machen Menschen frei und autonom

Spiegelungen und soziale Resonanz zu erhalten, sind für ein Kind kein verzichtbarer Luxus. Sondern sie sind ein Grundbedürfnis. Diesbezüglich von einem Mangel betroffene Kinder erleben großes Leid. Sie fallen durch einen Mix unterschiedlicher Störungen in der Entwicklung und im Verhalten auf. Sie landen zum Beispiel in radikalen Gruppen. Dabei richten sie den in ihnen aufgestauten Hass, der eigentlich auf eine Welt gerichtet ist, die ihnen keine Chance bot, gegen andere.

Frei und autonom werden Menschen nur, wenn sie vorher das Geschenk einer Bindung erlebt haben. Wenn man davon spricht, dass eine Handlung in einem bestimmten Geist geschehen oder eine Aussage von einem bestimmten Geist getroffen worden sei, dann bezeichnet Geist eine innere Haltung oder Intention. Friedrich Schiller schrieb einst: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut.“ Mit Geist meint man heutzutage aber auch die Sprache. Ein sprachliches Produkt und Ideen – sie sind Gegenstand der Geisteswissenschaften.

Geist und Körper des Menschen sind verschränkt

Schließlich verbindet man mit dem Begriff des Geistes den mentalen Zustand eines Menschen. Wobei man entweder reflektiert, ober jemand überhaupt Geist – also Ideen oder Intelligenz – hat, oder aber, mit welchen Gedanken oder Gefühlen ein Mensch befasst ist, in welchem Geisteszustand er sich befindet. Der Geist wir von Joachim Bauer also in einem dreifachen Definitionsrahmen verwendet. Er entsteht als etwas zwischen Menschen Kommuniziertes.

Als selbsterzeugtes Produkt zum ausschließlich eigenen Hausgebrauch hat der Geist wenig Sinn. Der Mensch hat zwei Rezeptorsysteme für den Geist. Das System der Spiegelneuronen und das neuronale Selbstsystem. Beide sind, wenn sie adressiert wurden, zur Resonanzreaktionen fähig und können biologische Reaktionen veranlassen. Geist und Körper des Menschen sind, wie Jürgen Habermas es ausdrückte, „verschränkt“. Das eine lässt sich aber nicht auf das andere reduzieren, das eine nicht mit dem anderen erklären. Quelle: „Wie wir werden, wer wir sind“ von Joachim Bauer

Von Hans Klumbies

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