Kinder fürchten sich eigentlich immer vor etwas. Pubertät oder Attacken des Trotzes, Wut und Schüchternheit: Alle Eltern kennen diese Entwicklungsphasen bei ihrem Nachwuchs. Wenn Familien zugeben müssen, dass ihre Kinder keine normale schwierige Phase der Heranwachsens erleben, sondern echte Probleme haben, suchen viele Eltern den Fehler erst einmal bei sich selbst. Jakob Fertmann erklärt: „Sie fühlen sich irgendwie schuldig. Aber davon muss man sich entfernen. Studien belegen, dass die Gründe zum Beispiel für Angsterkrankungen unglaublich vielfältig sind. Das hat was zu tun mit genetischer Prädisposition, mit dem sozialen Umfeld, mit Persönlichkeitsfaktoren des Kindes, mit Dingen die Kinder erleben oder erfahren.“ Man wird also nie so ganz feststellen können, woran es jetzt gelegen hat. Genau das Gleiche gilt für die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS). Jakob Fertmann ist Psychologe in der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Kinderkrankenhaus in Hannover.
Kinder müssen ihre Ängste überwinden lernen
Laut Jakob Fertmann haben Kinder zu bestimmten Zeiten eigentlich immer vor etwas Angst. Das ist ganz normal: „Mit drei, vier Jahren sind es Hunde, mit fünf fürchten sie die Dunkelheit. Und wenn sie ein bisschen älter werden, haben sie große Angst davor, sich sozial zu blamieren. Es ist wichtig, dass sie diese Ängste durchmachen und auch zu überwinden lernen.“ Dennoch leidet in Deutschland jedes zehnte Kind an einer Angststörung. Zum Problem wird die Angst immer dann, wenn sie den Alltag des Kindes einschränkt. Nach diesen Kriterien definiert man auch, ob es eine Krankheit ist.
Am weitesten verbreitet ist die soziale Ängstlichkeit. Jakob Fertmann nennt zwei Beispiele: „Vor einer Gruppe zu sprechen oder in irgendeiner Situation in den Fokus der Öffentlichkeit zu geraten.“ Das beginnt bei Referaten oder bei mündlicher Beteiligung in der Schule. Eltern merken das am Anfang nur schwer, denn die Jugendlichen setzen viel Anstrengung darein, ihre Angst geheim zu halten. Sie schämen sich. Aber es gibt natürlich Warnhinweise: Leistungseinbruch, Fehlzeiten in der Schule, wenn Kinder aufhören, sich mit Freunden zu treffen oder früher geliebte Freizeitaktivitäten aufgeben.
Kinder sollen ihre Kindheit genießen können
Eltern können ihre Kinder stärken, indem sie lernen, selbst zu erleben, wie es sich anfühlt, Probleme lösen zu können. Oder dass sie früh üben, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und frühzeitig eigene Meinungen und Positionen beziehen dürfen. Auch außerhalb des familiären Umfeldes sollen sich die Kinder erproben können. Jakob Fertmann ergänzt: „Natürlich hilft auch emotionale Sicherheit, aber es gibt keine Zauberformel für Eltern, um eine Angsterkrankung zu verhindern.“ In der Regel sind Ängste bei Kindern sehr gut zu behandeln.
Die meisten Kinder haben immer wieder einmal einen Wutausbruch. Es ist auch ganz normal, dass der Nachwuchs immer impulsiv sein wird. Die Frage ist eben: Ist das noch erträglich für das Kind und die Eltern? Jakob Fertmann betont: „Einem Kind, das im Alltag Probleme hat, muss man helfen. ADHS ist eine Funktionsproblematik, keine Leistungsproblematik. Es geht nicht darum, dass man eine Mathe-Arbeit rettet. Es geht darum, dass es seine Kindheit ausleben und genießen kann. Das ist das Wichtigste.“ Quelle: Welt Kompakt
Von Hans Klumbies