Der Populismus macht sich zum Anwalt der Beleidigten

Der Populismus bezieht sich unter anderem auf die negativen Gefühle, die beim Brüchigwerden von Einbindungen freigesetzt werden. Er bezieht sich auf Kränkungserfahrungen. Isolde Charim erläutert: „Diese sind wesentlich an die Veränderungen gebunden, die mit der Pluralisierung der Gesellschaft einhergehen.“ Früher war der Anhänger des Populismus Teil der Gruppe, die fürs Ganze stand, er war Teil jener, die vorgaben, was Normalität ist. Und nun, zurückgeworfen auf seine Einzelheit, auf sein prekarisiertes Weniger-Ich, fühlt er sich nicht gehört, vergessen, unverstanden, ausgeschlossen, entmächtigt. Die Reaktion darauf ist das grundlegende Begehren nach Anerkennung. Es geht dabei nicht darum, ob der Populismus dieses Begehren erfüllt. Es geht auch nicht darum, ob diese Kränkung berechtigt ist. Es geht darum, dass der rechte Populismus genau hier einhakt – und sich zum Advokaten der Beleidigten macht. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

Der Populismus nimmt den Schrei nach Aufmerksamkeit auf

Ein Anwalt, der geben oben einen aggressiven Hass auf die Eliten und gegen unten eine aggressive Fremdenfeindlichkeit in Stellung bringt. Es ist dieses Beleidigt-Sein, Gekränkt-Sein nicht irgendeine Kränkung, sondern punktgenau die Kränkung der pluralisierten Gesellschaft. Die alte Klassengesellschaft mit ihren stabilen, klar abgegrenzten Blöcken, die Einbindung in Großgruppen wie Parteien, hatte den Individuen ein Enttäuschungsnetz geboten, das unerfüllte Erwartungen auffangen und Kränkungen entlasten konnte.

Im Zeitalter der Globalisierung mit seinem Streben „nach einer zur Gänze persönlichen Existenz“ funktioniert diese Integration nicht mehr. Hier gibt es keine adäquate Repräsentation der radikal Einzelnen und kein Netz für pluralisierte Objekte mehr. Die emotionale Freisetzung im populistischen Moment bedeutet deshalb auch eine Freisetzung der Kränkungserfahrungen. Man muss diese Emotionslage sehr genau als eine emotionale Bedürftigkeit verstehen. Der Populismus nimmt diese auf, was sie ist: ein Schrei nach Aufmerksamkeit.

Die Donald Trumps dieser Welt sind alle Exzentriker

Aber erfüllt der Populismus diesen Ruf? Isolde Charim erklärt: „Er hat dazu drei Dinge im Angebot: einen neuen Politikertypus, den Emotionsraum und „das“ Volk.“ Was den Politikertypus angeht, muss man sagen: Es gibt verschiedene politische Bedürfnisse. Und Politiker unterscheiden sich nicht nur nach ihrer Programmatik und ihrer Persönlichkeit. Politiker unterscheiden sich auch danach, welches Bedürfnis sie bei ihren Anhängern befriedigen, auf welches Bedürfnis sie antworten.

Lange Zeit war das Bedürfnis nach Schutz vorherrschend. Die Politiker, die das befriedigen konnten, mussten möglichst anderes sein als man selbst: fähiger, kompetenter, charismatischer. Winston Churchill, Willy Brandt, Bruno Kreisky wählte man, wie sie anders, weil sie Autoritäten waren. Man wählte sie als schützende Überväter. Man übertrug ihnen die Konsolidierung der Gesellschaft. Später dann gab es die Nachfrage nach einem anderen Typus – nach jenem Typus, der war wie man selbst: „einer von uns“. Und nun gibt es einen dritten Typus: die Donald Trumps dieser Welt. Diese Typen zeichnet vor allem eines aus: Sie sind alle Exzentriker – von Donald Trump bis Jörg Haider. Also Leute, die schamlos, öffentlich und sichtbar genießen. Ein Genuss, der sich aus dem Brechen von Tabus, dem Überschreiten von Grenzen speist. Quelle: „Ich und die Anderen“ von Isolde Charim

Von Hans Klumbies