Das politische Interesse wird neu artikuliert

Die Entwicklungen der letzten Jahre haben zweierlei deutlich gemacht: zum einen, dass pluralisierte Subjekte ein ausgeprägtes politisches Interesse haben. Zum anderen aber, dass sich dieses Interesse ganz neu artikuliert. Die augenfälligen politischen Kennzeichen dieser neuen Subjektivität sind: Engagement und Sehnsucht nach Partizipation. Um diese Partizipation zu verstehen, wendet sich Isolde Charim einmal mehr den unterschiedlichen Individualismen zu und erläutert: „Im ersten Individualismus beruhte Partizipation auf Mobilisierung. Die Individuen mussten sich von ihren vorgegebenen Plätzen wegbewegen.“ Sie mussten sich von ihren Herkunftsmilieus lösen, von ihren konkreten Bedingungen abstrahieren, um Teil einer Massenorganisation zu werden. In Momenten der Rebellion hieß das, in der Masse aufzugehen. Im Alltag hieß dies, Parteisubjekt zu werden. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

Occupy war vehement aber kurzlebig

Partizipation hieß also im ersten Individualismus für den Einzelnen wesentlich: aufgehen in einer Gruppe. Im zweiten Individualismus der „Neuen sozialen Bewegungen“ hat Partizipation eine geradezu gegenteilige Bedeutung angenommen. Nun hieß Partizipation nicht mehr Absehen von der eigenen, spezifischen Konkretheit, sondern vielmehr deren nachdrückliche Behauptung. Partizipation hieß, als der, der man war, zu einem politischen Subjekt zu werden. Man suchte einen Teil seiner komplexen Identität als jenen bestimmenden Teil aus, mit dem man ins politische Leben eintrat.

In der zweiten Individualisierung wurde also Partizipation von Teilhabe hin zur Anerkennung als politisches Subjekt verschoben. Das Spezifische an der Partizipation im dritten Individualismus wir am Beispiel „Occupy“ deutlich – der bankenkritischen Proteste im Gefolge der Finanzkrise und des Arabischen Frühlings in den Jahren 2011 und 2012. „Occupy“ war eine Bewegung, die zwar vehement, aber kurzlebig war. Gemessen an ihrer Kurzlebigkeit war sie nicht bedeutsam. Dennoch war sie exemplarisch für Partizipation heute.

Partizipation hat heute auch ihre eigene Realität

Bei „Occupy“ konnte man erstmals neue Formen politischer Partizipation beobachten. Die Bewegung wurde auf der einen Seite als Belebung des Politischen begrüßt, auf der anderen Seite wurde sie auch äußerst skeptisch eingeschätzt. Ein Merkmal von „Occupy“ ist, dass die Protestierenden das subjektive Gefühl hatten, gehört zu werden, anerkannt zu werden, sich gemeint zu fühlen. Das ist es, was Partizipation im dritten Individualismus ausmacht: diese Verschiebung vom rein objektiven Blickwinkel auf die reale Partizipation zum subjektiven Zugang, zum subjektiven Moment von Partizipation.

Isolde Charim erläutert: „Heute gilt: Partizipation hat nicht nur an der Realität teil, sie hat auch ihre eigene Realität.“ Es ist leicht, das abzutun: Augenwischerei – nur das Gefühl. Das ist keine reale Partizipation! Man muss aber verstehen, dass allein das Gefühl zu partizipieren, das Gefühl teilzuhaben kein Defizit ist. Damit dieses Gefühl aufkommen kann, muss es ja einen Ort geben, muss es ein Terrain geben, auf dem dieses Gefühl überhaupt erst entstehen kann: Es muss einen Resonanzraum geben, in dem man gehört wird. Quelle: „Ich und die Anderen“ von Isolde Charim

Von Hans Klumbies