Der große britische Ideenhistoriker und politische Philosoph Isaiah Berlin starb im November 1997 im Alter von 88 Jahren. In den meisten Nachrufen in der englischsprachigen Presse mangelte es nicht an grenzenloser Ehrerbietung. Für die „Times“ war er einer der einflussreichsten und originellsten Denker im intellektuellen Leben Englands. Der „Guardian“ bezeichnete Isaiah Berlin als den berühmtesten englischen Akademiker und für die „Newsweek“ war er höchstwahrscheinlich der hellste Geist des 20. Jahrhunderts. Der „Economist“ erhob ihn zum „Superstar des akademischen Showgeschäfts“.
Isaiah Berlin erforscht die Welt der Ideen
Im verblüffenden Widerspruch zu den bombastischen Nachrufen steht die fachliche Anerkennung der wissenschaftlichen Werke Isaiah Berlins. Allenfalls seine einst zu einiger Berühmtheit gelangte Unterscheidung zwischen positiver und negativer Freiheit findet in philosophischen Lexika kurze Erwähnung. In Metzlers großem Philosophenlexikon kommt der große englische Philosoph erst gar nicht vor und auch im Lexikon der philosophischen Werke von Kröner ist keine einzige wissenschaftliche Arbeit von Isaiah Berlins erwähnt. Selbst in dem Buch „Hauptwerke der politischen Theorie“, ebenfalls bei Kröner erschienen, fehlt von ihm jede Spur.
Als Sohn wohlhabender Juden wurde Isaiah Berlin 1909 in Riga geboren und hatte vor der Emigration der Familie nach England im Jahr 1919 noch beide russische Revolutionen und ihre Schrecken erlebt. Nach der Studienzeit in Oxford arbeitete Berlin während des Zweiten Weltkriegs als Berichterstatter der britischen Regierung in New York und Washington. Aus dieser dramatischen Konstellation speist sich das Denken des großen Philosophen. Weil Ideen eine Welten umstürzende Wucht entfalten können, war es für Isaiah Berlin etwas ganz Natürliches, so etwas Abstraktes wie Ideen nach allen Regeln der Kunst zu erforschen.
Die positive und die negative Freiheit
Das Grundproblem das Isaiah Berlin in seinem Werk „Zwei Freiheitsbegriffe“ in den Blick nimmt, ist das der Zuverlässigkeit von Zwang. Womit er bei der Freiheit wäre und ihren beiden seiner Ansicht nach zentralen Ausprägungen: der positiven, also der Freiheit zur Verfolgung eines bestimmten Ideals von Autonomie, und der negativen, in erster Linie durch die Abwesenheit von Hindernissen geprägten Freiheit. Isaiah Berlin bevorzugte ganz klar die negative Freiheit.
Viele seiner Kollegen betrachten den erstmals 1953 erschienenen Essay „Der Igel und der Fuchs“ als seinen vielleicht glanzvollsten. Es geht darin, wie der Untertitel ausweist, um das Geschichtsverständnis des russischen Dichters Leo Tolstois. Doch die Ausführungen des englischen Philosophen gehen weit darüber hinaus. Es geht eigentlich darum, auf einen der tiefsten Unterschiede zwischen Schriftstellern und Denkern und vielleicht zwischen den Menschen überhaupt hinzuweisen.
Wahrhaftigkeit und Wahrheitsliebe schließen sich nicht gegenseitig aus
Den Unterschied nämlich zwischen Monisten und Pluralisten, zwischen denen also, die alles auf eine einzige Einsicht zurückführen, und denen, die viele, oft nicht zusammenhängende und sogar widersprüchliche Ziele verfolgen. Isaiah Berlin ging es auch um die Tatsache, dass Menschen, die unvereinbare Ziele verfolgen – etwa die vorbehaltlose Wahrhaftigkeit gegenüber einer situationsabhängigen Wahrheitsliebe –, dabei füreinander doch ganz und gar rationale Menschen bleiben können, die fähig sind einander zu verstehen.
In einer Rede, die Isaiah Berlin 1988 in Turin hielt, offenbarte er, dass sich sein vehementer Antiplatonismus aus der Lektüre der Schriften Niccolò Machiavellis speiste. „Hierdurch wurde mir einigermaßen schockhaft klar, dass nicht alle obersten Werte, an die sich die Menschen heute halten und in der Vergangenheit gehalten haben, unbedingt miteinander vereinbar sein müssen.
Von Hans Klumbies