Jacques Lacan schlägt eine ebenso kryptische wie verblüffende Definition der Liebe vor: „Liebe ist die Gabe dessen, was man nicht hat, an jemanden, der es nicht will.“ Die Liebe fordert tatsächlich nie etwas, sie ist nicht Bedürfnisbefriedigung oder Objekthunger. Isabella Guanzini fügt hinzu: „Sie schenkt uns kein Bild – kein idealisiertes Selbstbild –, keine Begabung und auch keine Nahrung.“ Die Liebe gibt nichts oder, besser gesagt, etwas, was jenseits der Dimension von Haben oder Nichthaben liegt. Es befindet sich nämlich im Bereich des Symbolischen, in der Anerkennung des Namens. Man schenkt nicht das, was man hat, sondern das, was man ist. Anders gesagt, die eigene Nichtallmacht und Zerbrechlichkeit, die Leere, die ein Subjekt im anderen eröffnet, sobald es geliebt wird. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.
Liebe erzeugt Mangel
Während sich das Genießen durch Dinge und „das Ding“ verwirklicht, lebt die Liebe vom Begehren des Anderen. Sie fordert das Zeichen für den Mangel des Anderen. Der bekannteste Dialog über die Liebe, Platons „Symposion“, hat als Erster die Bedeutung einer positiven Beziehung zwischen Eros und Mangel aufgezeigt. Liebe erzeugt Mangel. Doch in gewisser Weise nährt sie ihn auch, als wäre er ein Gegenmittel für jede illusorische Erwartung, eine Befriedigung des Genießens zu erreichen.
Im platonischen Mythos ist Eros der Sohn der Bedürftigkeit. Er lebt in Armut, doch seine Umtriebigkeit macht, dass dieser Zustand fruchtbar und nicht zerstörerisch wird. Er kennt das Wagnis, sich selbst hinzugeben. Der Eros weiß, dass sein Begehren stets von einer Leere durchdrungen sein wird. Doch dank dieser Erfahrung befreit er sich von jeder Besessenheit und Idealisierung. Darum spricht die Liebe die Sprache der Zärtlichkeit und umgekehrt: Beide berühren die verletzlichsten und kühnsten Seiten des menschlichen Seins.
Alle Menschen sehnen sich nach Liebe
Das alles passiert jenseits von Projektion und Schein, wenn man Zuneigung zum anderen empfindet und dabei die Wahrheit seiner wirklichen Situation spürt. Vor diesem Hintergrund wandelt Jacques Lacan das Wort „amour“ ab und schreibt es „(a)mur“. Er zeigt damit einen Mauer auf, ein Hindernis, den Mangel, die stets in die Liebe hineinspielen. Die Liebe schenkt uns diesen Mangel, diese Trennung. Diese bleiben erhalten und lassen sich nie vollständig beheben.
Sie fordert vom anderen nicht etwas, was er hat, sondern verlangt einfach nach Liebe. Anders gesagt, sie fordert geliebt zu werden in allem, was man ist. Alle Menschen begehren danach, auch wer durch die Schule der Kälte und Härte gegangen ist. Die Liebesbegegnung ist hier ganz wörtlich zu verstehen. In dem Sinne, dass sie zugleich die Hoffnung auf Vereinigung und die Zärtlichkeit für die Unterschiedlichkeit bewahrt. Denn die Illusion, Eins zu werden, anders gesagt der Wunsch, jede Alterität und Trennung zu überwinden, ist die narzisstische Spielart einer Beziehung, die als reine Spiegelung, als gespiegelte Gegenseitigkeit gelebt wird. Quelle: „Zärtlichkeit“ von Isabella Guanzini
Von Hans Klumbies