Das 19. Jahrhundert bringt gesellschaftliche Änderungen hervor

Mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts war in Europa ein noch nie dagewesener Zuwachs der Bevölkerung verbunden, der die Einwohnerzahlen der Industrieländer auf das Zwei- bis Dreifache emporschnellen ließ. Ein Hauptgrund dafür war die Zuwanderung von Menschen aus dem Agrarsektor und aus dem Handwerk. Abhängige Arbeitskräfte, die bis dahin vielfach zur Ehelosigkeit verurteilt gewesen sind, gründeten zumindest in der ersten Generation äußerst kinderreiche Arbeiterfamilien. Dazu kamen die Fortschritte der Hygiene der ärztlichen Versorgung, die zur Senkung der Sterblichkeitsrate und zur Verlängerung der Lebensdauer maßgeblich beitrugen. Diese neue Schicht der Proletarier schien unaufhaltsam zu wachsen und damit den Klassenkampf marxistischer Vorstellung unausweichlich zu machen. Es ist ein Kuriosum der Geschichte, dass zur selben Zeit, als die russische Revolution den gewaltsamen Weg zur klassenlosen Gesellschaft einschlug, sich die Prognose vom ungehemmten Wachstum der Arbeiterschaft als falsch erwies.

Die Zahl der Industriearbeiter stieg nie über ein Drittel der Berufstätigen an

Mit der rasch fortschreitenden Technisierung in der industriellen Fertigung, die zur Automatisierung vieler Arbeitsschritte führte, wurde der Bedarf an einfachen Arbeitskräften stark verringert, so dass die Gesamtzahl der Industriearbeiter nie über ein Drittel der Berufstätigen anstieg. Damit gingen auch die Geburtenraten in den Arbeiterfamilien stark zurück. Mit der Rationalisierung in den Betrieben verband sich allerdings die Notwendigkeit die Organisation der in den Bereichen Planung und Verwaltung zu verstärken.

Die neue Massenklasse des 20. Jahrhunderts stand nicht mehr am Fließband in der Fabrik, sondern begann als wachsendes Heer von Angestellten die Planungsbüros, Kontrollzentren, Werbeabteilungen und Vertriebsräume zu bevölkern. Die Soziologie teilt die Gliederung der Berufe nach C. Clark in drei Sektoren ein. Der primäre Sektor umfasst die Urproduktion, im Wesentlichen also die Landwirtschaft, deren Anteil an den Beschäftigungszahlen durch Mechanisierung bei etwa fünfzehn Prozent konstant wurde.

Der Dienstleistungssktor gewinnt zunehmend an Bedeutung

Die Zahlen des sekundären Sektors, der Industrie, sind dagegen im Sinken, stagnierten schon mit Beginn der Automatisierung und werden mit deren Fortschreiten weiter zurückgehen. Dagegen waren die Tätigkeiten des dritten Sektors nur geringfügig technisierbar, zumindest wurden nicht so viele Arbeitskräfte eingespart, dass das Gesamtwachstum wesentlich reduziert werden konnte. Er umfasst alle Bereiche der Verwaltung und Organisation, des Handels und Verkehrs, die Bildungsarbeit und jede Form der Dienstleistung. Er gewinnt mit einem erhöhten Lebensstandard zunehmende Bedeutung.

Die Verbesserungen beim Einkommen, die von den Interessenvertretungen den Angehörigen des ersten und zweiten Sektors erkämpft worden sind und die tertiäre Schicht des neuen Mittelstandes haben die Klassenbegriffe von Kapitalist und Arbeiter, von Bourgeoisie und Proletariat veralten und hinfällig werden lassen. In einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft schiebt sich die Einkommensskala zunehmend zusammen, wenn sie auch zahlreiche kleine Stufen aufweist. Mit der Demokratisierung des Bildungsangebots hat sich zudem die vertikale Durchlässigkeit verstärkt und die Aufstiegschancen sind unabhängiger von der Klassenzugehörigkeit geworden.

Von Hans Klumbies