Ina Schmidt schreibt: „Erneut also erleben wir das, was uns als menschlich auszeichnet, weniger in dem, was wir im Streben nach dem Guten erreichen oder worin wir unser Vermögen unter Beweis stellen können, sondern darin, dass wir uns gerade dem menschlichen Ringen mit dem Nichtkönnen, dem Unvermögen widmen.“ Hierin liegt ein starker Gegenentwurf zu dem, was sich als autonomes Subjekt verantwortlichen Handeln etabliert hat. Menschen werden in dem Versuch einer Antwort zu einem autonomen Subjekt, der sich aber nicht dadurch auszeichnet alles zu können, sondern dadurch, in seiner Unvollkommenheit den Versuch zu wagen. Ina Schmidt ist Philosophin und Publizistin. Sie promovierte 2004 und gründete 2005 die „denkraeume“. Seitdem bietet sie Seminare, Vorträge und Gespräche zur Philosophie als eine Form der Lebenspraxis an.
Menschen werden ihr Gegenüber nie in Gänze verstehen können
Das Subjekt konstituiert sich als ein Wesen, das unvertretbar zum Antworten aufgerufen ist. Ina Schmidt ergänzt: „Es ist responsiv, aber eben nicht als souveränes Subjekt, sondern als zerbrechliches Wesen, das in einem Trotzdem wagt, sich in einer undurchschaubaren Welt einzurichten.“ Bei Emanuel Lévinas liegt in diesem Umgang mit dem anderen nicht nur das Eingeständnis der eigenen Unvollkommenheit, sondern erst die eigentliche Möglichkeit der Stärkung, der „Ernährung“ verborgen.
Diese fasst Emanuel Lévinas im weitesten Sinne als „Mittel der Wiederherstellung der Kräfte. Ina Schmidt fügt hinzu: „Wir werden den anderen, unser Gegenüber nie in Gänze verstehen oder ihm entsprechen können. Aber gerade in dieser nicht aufzulösenden Andersartigkeit liegt eine Bereicherung für das, was wir kennen – und zugleich ist diese Andersartigkeit auch der Grund für die Betroffenheit und damit der Anlass für das eigene Verantwortungsgefühl.“ Denken wir hier noch einmal an die Verantwortung, die Eltern für ihre Kinder tragen oder später auch wieder die Kinder für ihre Eltern.
Man kann nicht allen Menschen helfen
In diesen doch sehr nahen menschlichen Beziehungen bleibt das Gegenüber immer noch eine Quelle der Andersartigkeit. Ina Schmidt stellt fest: „Eine solche Beziehung ist selten einfach, und sie wandelt sich im Laufe der Zeit ständig, sie ist aber gleichzeitig eine nährende und bereichernde Erfahrung im Miteinander – so schwierig sie auch sein mag –, selbst wenn sie letztlich zur Abgrenzung führt und an dieser Grenze wiederum das Eigene in seiner Position zu dem, was es für gut hält, erkennen lässt.“
Aus diesen Gedanken heraus entsteht ein Bezug zu dem, was Menschen als anders – als fremd, entfernt, schwierig – erleben, den sie aber in einem solchen Denken nicht von sich fernhalten können, vielmehr als Aufgabe ernst nehmen müssen, um sich dazu zu verhalten. Ina Schmidt betont: „Auf den anderen zu antworten, bedeutet nicht, jedem zu helfen und jedes Problem zu seinem eigenen zu machen, sondern zu klären, warum wir welchem Aufruf folgen können und welchem nicht.“ Quelle: „Die Kraft der Verantwortung“ von Ina Schmidt
Von Hans Klumbies