In Zeiten der Globalisierung wird Zuwanderung zur Normalität

Die Chronik der Menschheit ist eine Geschichte der großen Wanderungen und Flüchtlingsbewegungen. Horst Opaschowski erläutert: „Als Hauptursache gilt die wachsende Kluft zwischen armen und reichen Ländern in der Welt. Die Erfahrung zeigt: Armut benötigt keinen Pass, um Ländergrenzen zu überwinden.“ Internationale Migration, Bevölkerungsbewegungen aus weniger entwickelten Ländern in „Wohlstandsgesellschaften“, wird auch in den nächsten zwanzig Jahren problematische Entwicklungen mit sich bringen. Eine Zuwanderungskrise großen Ausmaßes kann die Folge sein. Im Zeitalter der Globalisierung wird Zuwanderung zur Normalität – zugespitzt in der These: „Die Welt wandert und wächst – Deutschland altert und schrumpft.“ Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

Das Risiko der Wirtschaft darf nicht auf den Staat verlagert werden

Die Politik in Deutschland muss eingestehen: Wir brauchen Zuwanderung, weil die Jugend deutlich schrumpft und die Bevölkerung altert. Allerdings hat man dabei die sozialen Folgeprobleme weitgehend aus den Augen verloren. Seit den sechziger und siebziger Jahren wurden Zuwanderer – früher „Gastarbeiter“ – in Deutschland gebraucht – aber Menschen sind gekommen. Die Erfahrungen der letzten fünfzig Jahre legen nahe, dass aus der Zuwanderung eine Kettenwanderung wird: Die Zugewanderten wollen dauerhaft bleiben und Familien, Verwandte und Freunde nachfolgen lassen.

Horst Opaschowski stellt fest: „Infolgedessen wird auch in Zukunft der Versuch scheitern, die Zuwanderung an kurz- und mittelfristige Konjunkturzahlen bzw. primär am Bedarf der Wirtschaft zu orientieren. Die Zuwanderung wird sich eher verselbstständigen und für die Folgekosten werden Staat und Steuerzahler – und weniger die Wirtschaft – aufkommen.“ Eine Mahnung des ehemaligen Bremer Senators für Wohlfahrtswesen Wilhelm Kaisen (1887 – 1979) scheint in Vergessenheit geraten zu sein: „Jede Förderung der Wirtschaft hat dort seine Grenze, wo versucht wird, ihr Risiko auf den Staat zu verlagern.“

Die Zuwanderung dient primär der Lösung wirtschaftlicher Probleme

Es bestätigt sich vielmehr eine politische Erfahrung des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt in seiner Regierungserklärung von 1973: „Es ist notwendig geworden, dass wir sehr sorgsam überlegen, wo die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft ist und wo soziale Vernunft und Verantwortung Halt gebieten. Wir dürfen das Problem nicht dem Gesetz des augenblicklichen Vorteils überlassen.“ Bis heute wird die abnehmende Bevölkerung in Deutschland – vor allem im Zeitraum zwischen 2030 und 2060 – noch gar nicht als soziales Problem gesehen.

Die Zuwanderung soll ja verhindern, dass die deutsche Wirtschaft im internationalen Leistungsvergleich und Konkurrenzkampf zurückfällt. Arbeitsmarkt- und konjunkturpolitische Gründe geben den Ausschlag. Die Sorge ist berechtigt, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinkt, weil ihre wichtigste Komponente – der private Verbrauch – von der Bevölkerungsgröße abhängt: Weniger Einwohner haben weniger Ausgaben für den Konsum zur Folge. Aus der Sicht der Politik ist Zuwanderung zunächst einmal ein wirksames Instrument der Arbeitsmarktsteuerung und dient primär der Lösung wirtschaftlicher Probleme. Quelle: „Wissen, was wird“ von Horst Opaschowski

Von Hans Klumbies