Demokratie ist eine Frage des Augenmaßes. Ihre Qualität hängt vom möglichst klugen, aber nie ganz stimmigen Justieren der Machtbalance ab. Roger de Weck fügt hinzu: „Obendrein muss sie laufend auch ihre zwei wichtigsten herkömmlichen Ideale austarieren, die sich reiben: so viel Freiheit wie möglich, damit das Individuum gedeiht; so viel Gleichheit beziehungsweise solidarische Umverteilung wie nötig, damit das Gemeinwesen und seine benachteiligten Mitglieder vorankommen.“ Inzwischen ist dieser Ausgleich noch anspruchsvoller geworden, nämlich seit der epochalen Studie über „Die Grenzen des Wachstums“ die ihre Mitautoren Donella und Dennis Meadows 1972 am St. Galler Symposium vorstellten. Der Umweltgedanke hat sich seither durchgesetzt und das dritte Ideal der Französischen Revolution mit neuem Leben erfüllt: Der „fraternité“ verleiht die grüne Bewegung eine zeitgemäße Bedeutung. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.
Der Blaue Planet ist das lädierte Haus
Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit innerhalb der Menscheitsfamilie stehen für die Ökologie, wörtlich die Lehre vom Haus, in dem diese „Family of Man“ logiert. Der Blaue Planet ist das lädierte Haus. „Fraternité“ als Verbundenheit der Zeitgenossen auch mit ihren Nachfahren – als Nachhaltigkeit. Roger de Weck erklärt: „Einst waren Freiheit und Gleichheit ins Lot zu bringen, das war heikel genug. Kommt die Nachhaltigkeit hinzu, wird es komplexer. Sie tangiert sowohl die Freiheit als auch die Gleichheit.“
Die Demokratie hat künftig eine schwierigere Aufgabe. Sie bleibt aber um der Freiheit, Gleichheit und Nachhaltigkeit willen der ganz große Kompromiss, den die Demokraten stets von Neuem aushandeln müssen. Roger de Weck weiß: „Versagen sie dabei, leiden alle drei Gleichgewichte: zwischen Umwelt und Gesellschaft, zwischen Gesellschaft und freiem Individuum und zwischen Individuum und Umwelt.“ Demokratien sind langsam, aber nur Demokraten können auf Dauer der Aufgabe gerecht werden, „liberté, égalité“ und ökologische fraternité einigermaßen in Einklang zu bringen.
Beim Klimaschutz versagt der Markt
Weniger Freiheit und noch mehr Ungleichheit zwecks Nachhaltigkeit? Roger de Weck stellt fest: „Unweigerlich wird es einiger Gebote und Verbote bedürfen, um die globale Erwärmung und den Raubbau an den Lebensgrundlagen zu stoppen. Demokratie ist die Staatsform, die solche missliebigen Imperative nachhaltig legitimieren kann.“ Der 2008 verstorbene Ökonom Claus Noé hielt es für eine Naivität oder Irreführung „von der Versöhnung der Marktwirtschaft und Grünem zu fabulieren, als ob ein auf Akkumulation und Wachstum gedoptes Wirtschaftssystem Nachhaltigkeit und Schonung der Ressourcen einschläfern“ wolle, denn „beim Klimaschutz versagt der Markt“.
Selbst wer dem Staats- und Wirtschaftsdenker Claus Noé nicht so weit folgt, muss mit massiven Eingriffen in den Markt rechnen. Roger de Weck erläutert: „Das Klimaschutz-Übereinkommen von Paris verpflichtet die Weltgemeinschaft zur Begrenzung der Erderwärmung auf unter zwei Grad, nach Möglichkeit auf 1,5 Grad.“ Stand heute wird das nicht eingelöst, die Europäische Union (EU) wird ihre wenige ehrgeizigen Klimaziele 2030 verfehlen. Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck
Von Hans Klumbies