Im14. Jahrhundert war das Leben unsicher

Sarah Bakewell vermutet: „Hätte man die Wahl, würde man wahrscheinlich nicht im frühen 14. Jahrhundert auf der italienischen Halbinsel geboren sein wollen.“ Denn das Leben war damals unsicher, verfeindete Städte bekämpften einander regelmäßig. Der lang andauernde Konflikt zwischen der Partei der Guelfen und der Ghibellinen wurde zwar beigelegt, aber die siegreichen Guelfen spalteten sich in eine „weiße“ und eine „schwarze“ Fraktion, und so gingen die Auseinandersetzungen weiter. Rom, der historische Mittelpunkt der Christenheit, wurde von dem bedrängten Papst Clemens V. verlassen. Er floh vor seinen Feinden und verlegte den Hof nach Avignon, einem schlecht gerüsteten Städtchen jenseits der Alpen mit einem entsetzlichen Klima. Sarah Bakewell lebt als Schriftstellerin in London, wo sie Creative Writing an der City University lehrt und für den National Trust seltene Bücher katalogisiert.

Im 14. Jahrhundert gab es neue Generationen von Schriftstellern

Die Päpste blieben jahrzehntelang in Avignon, während Rom im Chaos versank und inmitten seiner überwucherter Ruinen buchstäblich vor sich hin vegetierte. Sarah Bakewell ergänzt: „Die Toskana wurde von Wetteranomalien und Hungersnöten heimgesucht. Und es sollte noch schlimmer kommen.“ Doch irgendwie sammelte sich in diesem schwer geplagten Teil der Welt eine enorme literarische Energie. Im 14. Jahrhundert tauchten neue Generationen von Schriftstellern auf, die vom Geist des Aufschwungs und Wiederbelebung erfüllt waren.

Sarah Bakewell erklärt: „Sie wollten über die Probleme ihrer Zeit, ja über das Fundament des Christentums hinaus zurückgehen und an die Autoren der römischen Welt anknüpfen, deren Werke in unterschiedlichem Maß in Vergessenheit geraten waren.“ Diese neuen Schriftsteller orientierten sich an einem alten Modell des guten Lebens, das auf Freundschaft, Weisheit, Tugend und der Kultivierung von sprachlicher Macht und Eloquenz beruhte.

Petrarca und Boccaccio schufen das Profil des Humanismus

Aus diesen Elementen schufen sie eine eigenständige Literatur in einer Vielzahl von Gattungen. Ihre Waffe waren die „studia humanitatis“, die humanistischen Studien. Sarah Bakewell fügt hinzu: „Anzeichen für ein wiedererwachtes Interesse an den humanistischen Studien hatte es bereits in den Jahrzehnten davor gegeben, vor allem bei dem kosmischen Visionär Dante Alighieri, dem Förderer des Toskanischen als Literatursprache und Meister der Kunst, sich an seinen Feinden zu rächen, indem er eine Hölle erfand und sie hineinsteckte.

Der eigentliche Neuanfang jedoch begann erst eine Generation nach ihm, mit zwei Schriftstellern, die wie er aus der Toskana stammten: Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio. Sarah Bakewell stellt fest: „Sie waren mehr oder weniger die Erfinder dessen, was für die nächsten zwei Jahrhunderte der humanistische Lebensstil war – auch wenn sie sich selbst nicht als Humanisten bezeichneten.“ Der Begriff „umanisti“ kam erst später in Gebrauch, aber Petrarca und Boccaccio schufen dessen Profil, und so erscheint es angemessen, sie als solche zu bezeichnen. Quelle: „Wie man Mensch wird“ von Sarah Bakewell

Von Hans Klumbies