Im Gehirn finden Prozesse der Selbstorganisation statt

Das menschliche Gehirn strukturiert sich primär anhand der während der frühen Phasen der Hirnentwicklung aus dem eigenen Körper zum Gehirn weitergeleiteten Signalmuster. Gerald Hüther ergänzt: „Es sind also eigenen Körpererfahrungen, die die Organisation synaptischer Verschaltungsmuster in den älteren, tiefer liegenden Bereich lenken.“ Und die primäre Aufgabe dieser bereits vor der Geburt und während der frühen Kindheit herausgeformten Hirnbereiche ist die Integration, Koordination und Harmonisierung der im Körper ablaufenden Prozesse. Dabei geht es um die Lenkung und Steuerung motorischer Leistungen beim sich Bewegen, beim Singen, Tanzen, und später auch beim Sprechen. Erst danach werden auf der Grundlage dieses Fundaments die in der Beziehung des Kindes zur Außenwelt, insbesondere zu seinen Bezugspersonen gemachten Beziehungserfahrungen zur wichtigsten strukturierenden Kraft für die sich in den ausreifenden Hirnstrukturen herausbildenden neuronalen Verschaltungsmuster. Gerald Hüther ist Neurobiologe und Verfasser zahlreicher Sachbücher und Fachpublikationen.

Das Gehirn neigt zur Reduktion der Komplexität

Jetzt erst wird die Gestaltung von Beziehungen zur äußeren Welt und hier in erster Linie zu den primären Bezugspersonen zur wichtigsten Aufgabe des sich entwickelnden Gehirns. Aber auch ohne bewusstes oder unbewusstes Zutun funktioniert das Gehirn aus sich selbst heraus so, dass sein Energieverbrauch möglichst gering bleibt. Gerald Hüther weiß: „Eine besonders interessante und wirksame Strategie ist die in der Arbeitsweise unseres Gehirns angelegte Tendenz zur Komplexitätsreduktion.“

Das hört sich schwierig an, ist aber etwas, was alle Menschen kennen. Nämlich die Herausbildung von Automatismen und von übergeordneten Mustern zur koordinierten Steuerung einer Vielzahl von Einzelaktivitäten und Einzelreaktionen. Gerald Hüther nennt ein Beispiel: „Laufen beispielsweise können wir alle. Das funktioniert normalerweise von ganz allein, unbewusst und ohne nachzudenken. Aber als wir es im ersten Lebensjahr erlernt haben, war es doch sehr anstrengend und energieaufwändig. Inzwischen geht es ganz automatisch – und verbraucht nun kaum mehr Energie.“

Das Gehirn lenkt das Verhalten eines Menschen möglichst energiesparend

Denn im Gehirn ist damals ein Muster, ein inneres Bild entstanden. Dieses koordiniert und steuert sehr effektiv all die vielen Einzelreaktionen und Muskelkontraktionen, die ein Mensch beim Laufen einsetzt. Und wenn man dann irgendwohin will, ruft man nur noch dieses übergeordnete Muster auf – und läuft los. Das Gehirn bildet solche übergeordneten Handlungsmuster zur Steuerung einer Vielzahl von Einzelbewegungen heraus. Und es macht das auch, um das Verhalten eines Menschen möglichst energiesparend zu lenken.

Die dafür im Gehirn herausgebildeten übergeordneten Muster bezeichnet man im Deutschen als innere Einstellungen und Handlungen. Gerald Hüther erläutert: „Herausgebildet werden sie anhand von der einer Person im bisherigen Leben gemachten Erfahrungen.“ Diese im Frontalhirn als komplexe Netzwerke verankerten Einstellungen und Haltungen sind entscheidend dafür, wie sich die betreffende Person in einer bestimmten Situation verhält. Es geht darum, was sie sagt und tut, worum sie sich kümmert und was sie links liegen lässt, was ihr wichtig ist und was ihr gleichgültig bleibt. Quelle: „Lieblosigkeit macht krank“ von Gerald Hüther

Von Hans Klumbies

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