Im 12. Jahrhundert entstand das Lehnswesen

Gegen die Verwirklichung imperialer Pläne stand nicht nur der Mangel an Menschen und Dukaten. Die Herrscher sahen sich im 12. Jahrhundert eingebunden in ein dichtes Netz von Rechten, Pflichten und Treueverhältnissen, das auf den Begriff „Lehnswesen“ gebracht wurde. In seinen mannigfaltigen Formen spiegelte das Lehnswesen die ländlichen Verhältnisse auf höherer Ebene. Bernd Roeck erläutert: „Der Vasall verpflichtete sich durch Treueeid, indem er die wie zum Gebet gefalteten Hände in die Hände des Herrn legte oder auf Reliquien schwur.“ Der Vasall hatte Rat und Hilfe zu geben und Dienst zu leisten, namentlich im Krieg, aber auch beispielsweise bei Hofe. Dafür erhielt er, als Schenkung oder leihweise, Land, Rechte und Einkünfte. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

Während Phasen stürmischer Expansion drohte dem König keine Gefahr

Bernd Roeck erklärt: „Der bedeutende Unterschied gegenüber der Beziehung zwischen Grundbesitzer und Patron war, dass Lehnsverhältnisse zwischen Freien möglich, ja mehr und mehr die Regel wurden. Selbst Gleiche, adelige Herren etwa, nahmen Lehen voneinander.“ Der Macht des Königs kam die Praxis, Land gegen Treue zu tauschen, nur zeitweilig zugute – nämlich dann, wenn Eroberungen die Landfläche vergrößert hatten, aus der verteilt werden konnten. Während Phasen stürmischer Expansion sitzt, wer über die Beute verfügen kann, fest im Sattel.

Verliert der militärische Schwung an Elan, kommt es rasch zu inneren Krisen, zumal, wenn sich durch schlechte Ernten wirtschaftliche Not und soziale Schieflagen ergeben. Alles Übel wird dann auf die Fremdherrschaft zurückgeführt, und Usurpatoren finden rasch Anhängerschaft. Immer aufs Neue griff der staatszerstörende Mechanismus: im spätantiken römischen Imperium, im Reich der Karolinger, später in dem der Osmanen. Das Verliehene gelangte allerdings immer häufiger an Verwandte oder Freunde des Herrn. Die dergestalt Begünstigten scharten dann weiter um sich, und diese Kleineren taten es ihren Lehensherren gleich und begründeten ihrerseits Klientelnetze.

Einmal übertragene Lehen konnten erblich werden

Vasallen verpflichteten somit Vasallen und handelten untereinander ihre Beziehungen aus, während der in fernen Höhen thronende König, obwohl formal oberster Lehnherr, nicht mehr gefragt wurde. Manche Vasallen machten sich zu Dienern vieler Herren, nahmen von mehreren Patronen Gütern und Rechte zur Leihe. Einmal übertragene Lehen konnten auch erblich werden. Schon ein 1037 ausgefertigtes Edikt Kaiser Konrad II. geht davon aus. Es garantiert den Erbgang der „beneficia“ in männlicher Linie.

Aus der ursprünglich mit religiöser Strenge vorgenommenen Kommendation, dem Vorgang der Übertragung, wurde eine leere Formalität. Die Übersendung einer Urkunde ersetzte den persönlichen Akt. Große Vasallen gewannen dadurch ein hohes Maß an Selbstständigkeit. Aus den Lehenskonglomeraten, die sie zusammenbrachten, konnten sich mit der Zeit Territorialstaaten entwickeln. Das System trug also zur Zersplitterung der Machtverhältnisse bei, galten Lehen doch als sehr sicherer Besitz. Sie zu entziehen, bedurfte es eines sehr umständlichen Verfahrens. Quelle: „Der Morgen der Welt“ von Bernd Roeck