Jeder möchte eine angenehme Wahrheit erzeugen

Die Differenz zwischen innerer und äußerer Rechtmäßigkeit ist ein typisch menschlicher Spannungszustand, der alle Bereiche des Alltags bestimmt. Ille C. Gebeshuber ergänzt: „Wir wollen gut sein und in diesem Zusammenhang für uns und die Mitmenschen eine Wahrheit erzeugen, die für alle angenehm und akzeptabel ist.“ Inwieweit sich Menschen dadurch von der Wirklichkeit entfernen, ist ihnen oft nicht bewusst. Die Psychoanalyse hat in diesem Bereich viele für den Homo sapiens unangenehme Entdeckungen gemacht. Aber das wird oft verdrängt, denn wer lässt sich schon gerne einen Spiegel vorhalten? Auf jeden Fall gilt: Eine Halbwahrheit, die einem das Gefühl gibt, im Recht zu sein, ist viel angenehmer als eine unangenehme Wahrheit, die eigentlich zutrifft. Aber recht zu behalten und das Richtige zu tun, ist nicht immer das Gleiche. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.

Der Gesellschaft stehen Eigeninteressen entgegen

Das führt zum eigentlichen Problem in der Welt. Nämlich dem Dilemma, dass das von Individuen geforderte, gesellschaftskonforme Handeln meist Eigeninteressen entgegensteht. Die Gesellschaft kann nur dann ihre Vorteile zur Gänze entwickeln, wenn sich alle an die Regeln halten. Ille C. Gebeshuber vermutet: „Vielleicht gilt sogar der Satz, dass das Potential einer Gesellschaft direkt proportional zum Grad der Unterordnung des Einzelnen unter deren Prinzipien ist.“

Leider ist die Neigung diesen Regeln zu folgen, nicht nur individuell unterschiedlich ausgeprägt, sondern hängt auch von den Umständen ab. Manchmal sind die Kosten für die Systemkonformität derart hoch, dass den Einzelnen gar keine andere Wahl bleibt, als die Regeln zu ihrem eigenen Vorteil zu interpretieren. Gering Vermögende oder Normalbürger haben hier meist wenig Möglichkeit zur Einflussnahme. Aber mit der Zunahme von Verantwortung, Reichtum und Macht, erhöhen sich die Kosten der Systemkonformität. Und damit steigt auch die Verlockung die Kosten zu minimieren.

Die Wahrheit hat viele Gesichter

Ille C. Gebeshuber stellt fest: „Die Wahrheit hat also ebenso viele Gesichter, wie wir es für notwendig und bequem halten. Im Falle der Beiträge zur Gesellschaft oder auch zum Schutz der Umwelt sind wir im Prinzip bereit, alles Notwendige zu tun. Wenn es aber darum geht, die Aufwände und Kosten dafür zu tragen, sieht es ganz anders aus. Und noch einmal ganz anders, wenn die Verantwortlichen durch große Macht und vermeintliche Profite in Versuchung geführt werden.“

Am Ende steht eine Welt, in der alle das Beste wollen, die aber hinter der Fassade eine andere ist, als die Menschheit sie sich wünscht. Dies führt auch zur politischen Wahrheit und zu einer demokratischen Welt, in der die verschiedenen Bewerber um die Macht versprechen, alles besser zu machen. Aber auch Wahlen sind eine Entscheidung im Eigeninteresse. Doch der Entscheidungsprozess führt bei den meisten Mitbürgern nicht zu einem klugen Abwägen der politischen Optionen, sondern zu einem Folgen von Trends, welche die politischen Parteien durch Werbekampagnen verstärken. Quelle: „Eine kurze Geschichte der Zukunft“ von Ille C. Gebeshuber

Von Hans Klumbies

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