Peter Burke weiß: „Im Arabischen heißt die vorislamische Epoche das „Zeitalter der Unwissenheit“. In der Renaissance bezeichneten die Humanisten das von ihnen erstmals als solches abgegrenzte Mittelalter als dunkles Zeitalter.“ Im 17. Jahrhundert nannte Lord Clarendon, der Historiker des englischen Bürgerkrieges, die Kirchenväter „helle Lichter, die in sehr dunklen Zeiten aufschienen, Zeiten voller Barbarei und Unwissenheit“. In der Aufklärung wurde Unwissenheit als Stütze des Despotismus, Fanatismus und Aberglaubens angeführt, die in einem Zeitalter des Wissens und der Vernunft allesamt hinweggefegt würden. George Washington meinte zum Beispiel, „die Fundamente unseres Reiches“ seinen „nicht im düsteren Zeitalter der Unwissenheit und des Aberglaubens gelegt worden“. Sechzehn Jahre lehrte Peter Burke an der School of European Studies der University of Sussex. Im Jahr 1978 wechselte er als Professor für Kulturgeschichte nach Cambridge ans Emmanuel College und ist inzwischen emeritiert.
In den USA herrscht eine weit verbreitete Unwissenheit
Solche Ansichten bleiben auch viel später geläufig. Unwissenheit war – neben Armut, Krankheit, Elend und Faulheit – einer der „fünf Riesen“, zu deren Niederwerfung der liberale britische Politiker William Beveridge aufrief. Peter Burke fügt hinzu: „Beveridges Bericht diente 1945 der Labour-Regierung als Grundlage zur Errichtung des britischen Wohlfahrtsstaats.“ Erst kürzlich hat Charles Simic in den USA geschrieben, „weitverbreitete Unwissenheit, die an Schwachsinn grenzt, ist unser neues Ideal als Nation“.
Der Wissenschaftshistoriker Robert Proctor erklärt die Gegenwart zum „Goldenen Zeitalter der Unwissenheit“. Peter Burke stellt fest: „Auch wenn wir uns natürlich bewusst sind, dass wir viel mehr wissen als frühere Generationen, sind wir uns sehr viel weniger dessen bewusst, was sie noch wussten, wir aber nicht mehr.“ Beispiele für diesen Wissensverlust sind etwa die Kenntnis der griechischen und römischen Klassiker oder die Vertrautheit mit der Natur und ihren Pflanzen und Tieren.
Heute ist die Überfluss an Informationen zum Problem geworden
Früher war ein Hauptgrund für die Unwissenheit vieler Menschen, dass in ihrer Gesellschaft zu wenig Information frei verfügbar war. Peter Burke erklärt: „Manches Wissen war „gefährlich“, wie es der Historiker Martin Mulsow nennt, und nur handschriftlich fixiert und weggeschlossen, weil die Obrigkeit in Gestalt von Staat und Kirche es ablehnten.“ Heute ist dagegen paradoxerweise der Überfluss an Informationen zum Problem geworden, die „Informationsflut“.
Der Mensch wird mit Informationen „überschwemmt“ und kann oft nicht mehr heraussuchen, was er möchte oder braucht; er erlebt ein „Filterversagen“. So kommt es, dass unser sogenanntes Informationszeitalter „die Verbreitung von Unwissenheit ebenso sehr erleichtert wie die des Wissens“. Peter Burke ergänzt: „Als Gegenstück zur Tradition, die Unwissenheit anzuprangern, finden wir auch Lob: Eine kleine Anzahl Denker und Schriftsteller, die darzulegen wagt, dass Wissensbegeisterung auch ihre Gefahren habe, während Unwissenheit ein Segen sein könne oder zumindest Vorteile biete.“ Quelle: „Die kürzeste Geschichte der Unwissenheit“ von Peter Burke
Von Hans Klumbies