Herwarth Walden erklärt die Begrifflichkeit in der Dichtung

Das Material der Dichtung ist das Wort, die Form ist der Rhythmus. In keiner Kunst sind laut Herwarth Walden die Elemente so wenig erkannt worden. Der Schriftsteller stellt die Schrift, statt das Wort zu setzen. Für den Sprachlehrer Herwarth Walden ist Schrift die Zusammenstellung der Wörter zu Begriffen. Er schreibt: „Mit diesen Begriffen arbeiten Schriftsteller und Dichter. Der Begriff ist aber etwas Gewonnenes. Die Kunst jedoch muss sich jedes Wort neu gewinnen.“ Wort zu Wort muss seiner Meinung nach gefügt werden, wenn ein Wortgebäude entstehen soll, dass man Dichtung nennt. Der Musikwissenschaftler und Sprachlehrer Herwarth Walden wurde 1878 in Berlin geboren. Er schrieb Romane, Dramen, Gedichte und Essays. Bleibendes Verdienst hat er als Theoretiker der expressionistischen Wortkunst, deren unermüdlicher Propagator, Mittler und Förderer er war. Herwarth Walden starb 1941 in Saratow/Wolga.

Die innere Geschlossenheit entpricht der Schönheit eines Kunstwerks

Die Sichtbarkeit einer jeden Kunst ist für Herwarth Walden die Form. Sie ist die Gestaltung des Äußeren als Ausdruck des inneren Lebens. Jedes Gesicht hat seine eigene Form. Ein Kunstwerk gestalten heißt für Herwarth Walden ein Gesicht sichtbar machen. Vom Kunstwerk darf nichts gefordert werden, obwohl das Kunstwerk selbst fordert. Jedes verlangt seinen eigenen äußeren Ausdruck, den man der inneren Geschlossenheit gleichsetzen kann, die selbst wiederum der Schönheit eines Kunstwerks entspricht.

Herwarth Walden behauptet, dass die innere Geschlossenheit durch die logischen Beziehungen der Wortkörper und der Wortlinien zueinander geschaffen wird. Er schreibt: „Sie sind in den bildenden Künsten räumlich sichtbar, in der Musik und der Dichtkunst zeitlich hörbar. Man nennt sie Rhythmus.“ Die Dichter sind seiner Meinung nach gewöhnlich bewegt über sich oder andere, aber sie bewegen nichts. Sie fühlen Gedachtes, statt Fühlendes zu denken. Sie nehmen Formen statt Formen zu geben.

Das Gegenständliche in der Dichtung muss stets ein Gleichnis sein

Herwarth Walden stellt fest, dass viele Dichter den Vergleich hinstellen, wo eigentlich ein Gleichnis geformt werden müsste. Diese Poeten betrachten statt zu schauen. Er ergänzt: „Sie berichten Übersinnliches unsinnlich, statt Übersinnliches den Sinnen sichtbar zu machen. Aussagen sind unkünstlerisch, weil sie nicht zum Glauben zwingen können wie auch Aussprachen, weil sie nicht einmal etwas aussagen. Das künstlerische verstehen ist keine Verständigung.“

Das künstlerische Verstehen besteht für Herwarth Walden im Fühlen. Nur das Fühlen ist Begreifen. Wenn sich Menschen die Hand oder einen Kuss geben und fühlen, dann wissen sie das Fühlen und brauchen dabei nicht zu sprechen. Laut Herwarth Walden ist es dasselbe beim Wissen um die Kunst. Die Kunst begreif das Unbegreifliche, nicht aber das Begriffliche. Außerdem darf das Gegenständliche in der Dichtung nie Vergleich sein, sondern muss stets Gleichnis sein, da das Gleichnis unpersönlich und ungebunden ist.

Von Hans Klumbies