Hermann Hesse macht sich Gedanken über das Alter

Das Greisenalter ist für den Schriftsteller Hermann Hesse eine Stufe des menschlichen Lebens und hat wie alle anderen Lebensphasen ein eigenes Gesicht, eine eigene Atmosphäre und Temperatur sowie eigenen Freuden und Nöte. Auch die Alten haben ihre Aufgaben, die ihrem Dasein einen Sinn verleiht, selbst ein Todkranker und Sterbender hat noch Wichtiges und Notwendiges zu erfüllen. Hermann Hesse schreibt: „Altsein ist eine ebenso schöne und heilige Aufgabe wie Jungsein, Sterbenlernen und Sterben ist eine ebenso wertvolle Funktion wie jede andre – vorausgesetzt, dass sie mit Ehrfurcht vor dem Sinn und der Heiligkeit allen Lebens vollzogen wird.“ Ein Alter, der sein Altsein und die Todesnähe hasst oder fürchtet, ist seiner Meinung nach kein würdiger Vertreter seiner Lebensstufe.

Auch das Alter hat seine Vorzüge und Freuden

Um als Alter seinen Sinn zu erfüllen und seiner Aufgabe gerecht zu werden, muss man laut Hermann Hesse mit dem Alter und allem, was es mit sich bringt, einverstanden sein, man muss ja dazu sagen. Hermann Hesse erklärt: „Ohne dieses Ja, ohne die Hingabe an das, was die Natur von uns fordert, geht uns der Wert und der Sinn unserer Tage – wir mögen alt oder jung sein – verloren, und wir betrügen das Leben. Jeder weiß, dass im Greisenalter Beschwerden auftreten und dass an seinem Ende der Tod steht. Der alte Mensch muss jedes Jahr Opfer bringen und neue Verzichte leisten.

Die körperlichen Freuden und Genüsse werden im Alter immer seltener und müssen immer teurer bezahlt werden. Dazu kommt die bittere Wirklichkeit der vielen Gebrechen und Krankheiten, die den alten Menschen befallen. Doch man kann etwas dagegen tun. Hermann Hesse schreibt: „Aber ärmlich und traurig wäre es, sich einzig diesem Prozess des Verfalls hinzugeben und nicht zu sehen, dass auch das Greisenalter sein Gutes, seine Vorzüge, seine Trostquellen und Freuden hat.“

Die Schönheit der Kontemplation

Wenn sich zwei ältere Menschen treffen, sollten sie laut Hermann Hesse auf keinen Fall über ihre Krankheiten sprechen, sondern über ihre heiteren und tröstlichen Erlebnisse und Erfahrungen. Der Schriftsteller nennt einige von den Gaben, die das Alter den Menschen schenkt, mit Namen und schreibt: „Die mir teuerste dieser Gaben ist der Schatz an Bildern, die man nach einem langen Leben im Gedächtnis trägt und denen man sich mit dem Schwinden der Aktivität mit ganz anderer Teilnahme zuwendet als jemals zuvor.“

Das Schauen, das Betrachten, die Kontemplation wird immer mehr zu einer Übung und Gewohnheit der alten Menschen. Unmerklich durchdringt die Stimmung und Haltung des Betrachtenden sein ganzes Verhalten. Manche wundern sich, wie schön und gut es sein kann, der Jagd und Hetze der Berufsalltags entronnen und in die vita contemplativa gelangt zu sein.

Hermann Hesse schreibt: „Da blüht die Blume der Geduld, ein edles Kraut, wir werden gelassener, nachsichtiger, und je geringer unser Verlangen nach Eingriff und Tat wird, desto größer wird unsere Fähigkeit, dem Leben der Natur und dem Leben der Mitmenschen zuzuschauen und zuzuhören, es ohne Kritik und mit immer neuem Erstaunen über seine Mannigfaltigkeit an uns vorüberziehen zu lassen, manchmal mit Teilnahme und stillem Bedauern, manchmal mit Lachen, mit heller Freude, mit Humor.“

Von Hans Klumbies