Ein wesentlicher Strang des Buches „Macht im Umbruch“ von Herfried Münkler ist die Geopolitik, die im Zuge der Umbrüche und Veränderungen der letzten zehn Jahre einen bemerkenswerten Wiederaufstieg erfahren hat, auch in Deutschland, wo sie aus der öffentlichen wie fachwissenschaftlichen Debatte nahezu verschwunden war. Einen Schwerpunkt bildet dabei Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Herfried Münkler schreibt: „Es wird die Rolle eines „primus inter pares“ sein, eines Ersten unter Gleichen, aber doch eben eines Ersten, dessen es beim Umbau und der Neugestaltung der EU bedarf.“ Aber Deutschland schafft das nicht allein, sondern ist dafür auf eine Reihe von Unterstützermächten angewiesen, die in einer reformierten und an Handlungsfähigkeit orientierten EU so etwas wie den innersten Kreis der Europäischen Union bilden würden. Herfried Münkler ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa „Imperien“ oder „Die Deutschen und ihre Mythen“.
Bei der Zukunft Europas fällt Deutschland eine Schlüsselrolle zu
Die EU braucht ein Zentrum, das mit realer Macht ausgestattet und schnell handlungsfähig ist. Und sie bedarf einer Form von Mitgliedschaft, die mindestens zwei, besser noch drei Stufen kennt und auf eine Differenzierung der Rechte und Pflichten hinausläuft. Eine solche strukturelle Reform in Richtung Zentrumsbildung wie Peripherisierung würde vermutlich auch das Problem der exzessiven Bürokratisierung reduzieren, an dem die EU in wachsendem Maße leidet. Die Bürokratisierung spiegelt das Defizit an politischer Führung der Europäischen Union.
Der Titel des Buches „Macht im Umbruch“ signalisiert, dass sich die vormalige Weltordnung in Auflösung befindet oder gar vor dem Zusammenbruch steht. Bei der Zukunft Europas fällt den Deutschen eine Schlüsselposition zu. Denn ohne es zu wollen und ohne diese Position je angestrebt zu haben, ist Deutschland seit Beginn des 21. Jahrhunderts in der Europäischen Union mehr und mehr in eine Führungsrolle hineingewachsen. Führung in der EU kann dabei jedoch nicht auf die Durchsetzung des eigenen nationalstaatlichen Willens hinauslaufen, da das umgehend den Widerstand aller anderen EU-Länder provozieren würde.
Auf die deutsche Politik kommen gewaltige Aufgaben zu
Ohne über den Zeithorizont einer Legislaturperiode hinausreichende politische Perspektiven wird Deutschland, die ihm zufallenden Aufgaben in Europa nicht übernehmen und bearbeiten können – was auch sehr große Anforderungen an die Mentalität der politischen Klasse in Deutschland stellen wird. Herfried Münkler warnt: „Ein Versagen der Bundesrepublik bei diesen Aufgaben wird mit großer Wahrscheinlichkeit zum Zerfall der Europäischen Union führen.“
Es sind große Herausforderungen und gewaltige Aufgaben, die auf die deutsche Politik zukommen, und es ist alles andere als sicher, dass sie diesen Herausforderungen gewachsen sein wird. Anstelle des bloßen Administrierens ist darum wieder eine Politik im emphatischen Sinn vonnöten, also ein auf der Überzeugungskraft von Argumenten und kraftvoller Rhetorik beruhenden Kämpfen um Mehrheiten. Das müssen viele Politiker erst wieder lernen, nachdem sie sich im Politikverständnis einer „good governance“ eingerichtet haben
Macht im Umbruch
Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts
Herfried Münkler
Verlag: Rowohlt – Berlin
Gebundene Ausgabe: 431 Seiten, Auflage: 2025
ISBN: 978-3-7371-0215-5, 30,00 Euro
Von Hans Klumbies