Probleme kollektiver Handlungen sind tatsächlich überall zu finden. Die vielleicht bekanntesten Beispiele stammen aus dem Kontext der Erschöpfung natürlicher Ressourcen. Hanno Sauer weiß: „Dieses Problem – vom schottischen Philosophen David Hume bereits im 18. Jahrhundert antizipiert – ist seit Garret Hardin als „Tragik der Allmende“ bekannt.“ Die Beobachtung des US-amerikanischen Ökologen: Natürliche Ressourcen, wie etwa Weiden oder Fischbestände, die nicht durch Eigentumsgrenzen parzelliert sind, werden tendenziell über ihre Kapazitätsgrenzen hinweg ausgebeutet. Unabhängig davon, wie sich die anderen verhalten – ob nachhaltig oder ebenfalls ausbeuterisch –, ist es für jeden Einzelnen die beste Strategie, die Ressource übermäßig auszunutzen. Die Vorteile dieses Fehlverhaltens kann jeder Einzelne selbst absorbieren; die Kosten werden an den Rest des Kollektivs „externalisiert“. Hanno Sauer ist Associate Professor of Philosophy und lehrt Ethik an der Universität Utrecht in den Niederlanden.
Statussymbole machen jeden ärmer und keinen glücklich
Viele scheinbar banale Alltagsphänomene lassen sich als Probleme kollektiver Handlungen analysieren. Hanno Sauer erklärt: „In der Ökonomie spricht man seit Thorstein Veblens „Theorie der feinen Leute“ von demonstrativem Konsum, bei dem oft erhebliche Mittel für Statussymbole aufgewandt werden, die letztlich keine intrinsische Befriedigung verschaffen, sondern rein positionale Effekte haben. Sobald die Konkurrenz aber aufgeholt hat, sind alle schlechter dran: Jeder ist ärmer, aber keiner glücklicher.“
Politisch hat sich die Spieltheorie vor allem im Zusammenhang mit dem Aberwitz des Wettrüstens im Kalten Krieg bewährt. Viele Intellektuelle sahen nicht den banalen Kern im reziproken Abschreckungsszenario. Hanno Sauer kennt ihn: „Wenn alle anderen nuklear aufrüsten, ist es für mich besser, ebenfalls Atomwaffen zu besitzen. Wenn ich der Einzige bin – noch besser.“ Auch viele soziale Probleme lassen sich so beschreiben: Amerikanische Waffenbesitzer weisen gerne darauf hin, dass sie sich mit einer Schusswaffe sicherer fühlen als ohne.
Die Handlungsprobleme des Kollektivs sind ubiquitär
Selbstverteidigung wird so gut wie von jedem als legitimer Wunsch anerkannt, weswegen die US-Waffenlobby den Ruf nach wirksamerer Regulation insbesondere von leistungsfähigen Waffen wie Sturmgewehren wahlweise als Symptom verweichlichter Ostküsten-Dekadenz oder als übergriffigen Kontrollwahn Washingtoner Eliten wegerklärt. Hanno Sauer stellt fest: „Das spieltheoretische Vokabular zeigt, dass das Nonsens ist; in Wahrheit geht es auch hier um den Umgang mit einer Situation, in der die individuell rationale Handlung, eine Waffe zu besitzen, kollektiv irrational ist.
Allgemeiner Waffenbesitz „frisst“ die Vorteile der Selbstverteidigung des Einzelnen sofort wieder auf. Hanno Sauer erläutert: „Man muss sich also immer eine noch größere Kanone kaufen, bis der nachbarschaftliche Frieden nur noch mit Panzern zu sichern ist. Und auch das nicht auf Dauer.“ In der biologischen Welt sind Handlungsprobleme des Kollektivs ohnehin ubiquitär. Das Problem, dass kooperative Arrangements immer gegen Ausbeutung verletzlich bleiben, lässt sich nicht lösen. Quelle: „Moral“ von Hanno Sauer
Von Hans Klumbies