Die Emanzipierten solidarisieren sich in wachsenden Bündnissen

In der Gegenwart präsentieren Soziale Netzwerke viel unreflektierten Mist, schlecht Informierte, Selbstdarstellung, Wut und Hass. Aber sie sind auch der Ort eines neuen Gewissens, das Menschen daran erinnert, dass es die Interessen, das Engagement und eine Achtsamkeit für die Belange von Individuen gibt, die früher nicht gehört wurden. Hadija Haruna-Oelker ergänzt: „Es ist ein Ort, dem Medien heute vermehrt Gehör schenken, und der deshalb in den Mainstream, in das breite Publikum, also in die Mitte gewandert ist. Und auch, wenn sich manche in Kämpfen verlieren, hat auch diese Art der Auseinandersetzung seine Berechtigung.“ Denn solange eine Anerkennung der Anliegen bestimmter Gruppen nicht selbstverständlich ist, wird es Identitätspolitik geben. Hadija Haruna-Oelker lebt als Autorin, Redakteurin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Hauptsächlich arbeitet sie für den Hessischen Rundfunk.

Mehrheiten haben auch in einer Demokratie nicht immer recht

Hadija Haruna-Oelker behauptet: „Dies führt nicht zum Zerfall der Gesellschaft in Partikularinteressen und Kleingruppen, sondern zeigt auf, dass es für die Unsichtbaren und Unterpräsentierten keine Alternative gibt.“ Die Geschichte zeigt, dass die Emanzipierten ein langer Atem antreibt. Sie solidarisieren sich in wachsenden Bündnissen. Sie wollen nicht eine ganz andere, sondern eine bessere Gesellschaft. Dabei sprengen ihre Forderungen nicht den Rahmen liberaldemokratischer Gesellschaftsordnungen, sondern sie nehmen lediglich deren Versprechen ernst.

Identitätspolitik steht für Hadija Haruna-Oelker auf der gleichen Linie mit den Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit – Aufstieg durch Arbeit –, und in einer Demokratie muss eine Gesellschaft lernen, mit den Konflikten gleichwertiger Partner umzugehen und die Rechte von marginalisierten Menschen zu stärken. Mehrheiten haben auch in einer Demokratie nicht immer recht, und ihre Demokratiefähigkeit bemisst sich genau darin, wie sie mit marginalisierten Menschen umgeht. Dies sind die dringlichsten Fragen unserer Zeit, an denen sich eine historische Parallele ziehen lässt.

Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt

Die Geschichte zeigt, dass ein freundliches Nachfragen nach mehr Teilhabe in einer Gesellschaft nicht reicht und das einer Veränderung oft ein großer „Knall“ vorausging. Hadija Haruna-Oelker erklärt: „Dass es das Private wie das Politische braucht, um sich danach für ein ruhiges Gespräch an einen Tisch setzen zu können. Die Frage ist, wie laut der Knall sein muss, damit der Stein weiter, vor allem ein eine gute Richtung rollt.“ „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, sagte der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein und erklärte damit, wie die Sprache und das Bewusstsein zusammenhängen.

Die eigene Wahrnehmung erweitert sich, wenn man seine Sprache erweitert. Hadija Haruna-Oelker erläutert: „Zum Beispiel indem wir in Diskussionen nicht auf reduzierende Schlagworte zurückgreifen, sondern uns die Mühe machen, auszuformulieren, um eine mögliche Enge des Denkens aufzulösen.“ Ausdifferenzieren macht mehr Argumente sichtbar, manchmal auch andere Menschen, die sich außerhalb der Grenzen der eigenen Wahrnehmung bewegen. Quelle: „Die Schönheit der Differenz“ von Hadija Haruna-Oelker

Von Hans Klumbies