Gordon A. Craig analysiert das unpolitische Wesen der Romantiker

Das Zeitalter der Romantik begann in den Jahren zwischen 1770 und 1830 als Protest der Jugend gegen die Normen der älteren Generation. In der Literatur und in der Kunst war sie ein Gegenentwurf zum Klassizismus, der in den Augen der Aufständischen alles Schöpferische und Spontane im künstlerischen Ausdruck abwürgte. Gordon A. Craig definiert die Romantik als eine Reaktion gegen den Rationalismus und das systematische Denken des 18. Jahrhunderts und der Aufklärung mit ihrer Vergötterung des Intellekts, ihrem utilaristischen Vorurteil, das alle Ansprüche der Tradition zugunsten jener der Effizienz und Relevanz zurückwies. Außerdem wandten sich die Romantiker gegen den optimistischen Fortschrittsglauben. Gordon A. Craig, der von 1913 bis 2005 lebte, war amerikanischer Historiker und Schriftsteller schottischer Herkunft. Er erhielt im November 1981 für sein Werk „Deutsche Geschichte 1866-1945“ den Historikerpreis der Stadt Münster.

Die Romantiker waren eine Jugend- und Protestbewegung

Die Romantiker hielten nichts von mathematischer Ordnung, sondern zogen die Fülle und Ungeordnetheit des Lebens vor. Sie wandten sich von der Eleganz der französischen Gärten ab und drangen in die verschlungenen Mysterien des deutschen Waldes ein. Da es sich bei den Romantikern um eine Jugend- und Protestbewegung handelte, war ihre Gruppierung gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Emotionalität und Überschwang. Gordon A. Craig weist aber darauf hin, dass sie dennoch nicht so formlos und ungeordnet war, wie es nach dem Auftreten einiger ihrer Protagonisten den Anschein hatte.

Im Allgemeinen waren die Romantiker laut Gordon A. Craig davon überzeugt, dass die Dimensionen des Lebens nicht durch eine wissenschaftliche Analyse erfasst werden könnten und dass der Instinkt ein besserer Führer in die tieferen Wahrheiten sei als die Vernunft. Die Romantiker verehrten auch den Ursprung der Dinge und waren fasziniert von der Geschichte und solchen Schlüsseln zu deren Geheimnissen wie Märchen und Volksliedern. Sofern sie sich überhaupt für die Politik interessierten, waren ihre Ansichten konservativ, wie zum Beispiel die eines Friedrich Schlegels.

Der romantische Kult der Individualität tritt an die Stelle des Aufklärungsglaubens

Gordon A. Craig vertritt die These, dass die Romantiker ihrem Wesen nach unpolitisch waren, da sie weder die Fragen der Zeit noch die Prozesse begriffen, durch die praktische Lösungen für die Probleme der zeitgenössischen Gesellschaft gefunden werden mussten. Gordon A. Craig schreibt: „Solche Dinge stießen nicht gerade auf ihr Interesse, denn sie erkannten nicht, dass die Gesellschaft an das Individuum legitime Forderungen hatte.“ An die Stelle des Aufklärungsglaubens setzten sie ihren eigenen Kult der Individualität.

Die Romantiker pochten auf das Recht des überlegenen Individuums zur Entfaltung seiner Möglichkeiten auch auf Kosten der Gesetze und Konventionen der Gesellschaft. Für Gordon A. Craig ist es daher auch kein Wunder, dass sich so viele Romantiker mit dem Wesen des Genies beschäftigten. Johann Wolfgang von Goethe spricht in seinen Erinnerungen spöttisch von einem „Geniefieber“, da dies bisweilen lächerliche Formen annahm, um als Erklärung oder Entschuldigung für jedes exzentrische Verhalten und zur Verherrlichung der Unzulänglichkeiten selbsternannter Intellektueller und Künstler zu dienen.

Von Hans Klumbies