Die Instabilität der Finanzmärkte bedroht die Gesellschaft

In den letzten Jahrzehnten wurde das instabile System der Finanzmärkte immer größer, vernetzter und schneller. Und diese Unstabilität überträgt sich in der Gegenwart stärker als vor dreißig Jahren auf den Reste der Volkswirtschaft, weil die Finanzmärkte stärker mit den Märkten der Realwirtschaft verbunden sind. Diesen Prozess des Übergreifens der Logik des Finanzmarktes auf andere Märkte bezeichnet man als Finanzialisierung. Gerhard Schick warnt: „Die Instabilität ist damit für unsere Gesellschaft viel gefährlicher geworden. Deshalb muss bei allen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen als exogene Größe die Irrationalität großer Finanzströme mitgedacht und immer als Machtfaktor berücksichtigt werden, der eigentlich in einer Markwirtschaft nicht vorgesehen ist.“ Nirgendswo wird das so deutlich wie bei der Spekulation mit Nahrungsmitteln. Der grüne Politiker Gerhard Schick zählt zu den versiertesten Ökonomen im Deutschen Bundestag.

Neue Akteure mischen die Grundstoffmärkte auf

Die Preise für Lebensmittel brechen auf den Grundstoffmärkten Rekorde, um kurz danach wieder beträchtlich zu fallen. Dies geht weit über die zyklischen konjunkturellen Schwankungen hinaus, da eine ganze Reihe von neuen Akteuren den Markt aufmischt. Gerhard Schick erläutert: „Von Privatanalegern über Banken bis zu Hedgefonds und Versicherungen: viele Interessengruppen haben agrarische Grundstoffe in Zeiten krisenbedingter Verunsicherung, gestiegener Inflationserwartung und niedriger Zinsen als neue Anlageform für sich entdeckt.“

Viele Hinweise sprechen dafür, dass der Zufluss dieser neuen Milliarden nicht nur die Preise nach oben treibt, sondern vor allem auch ihre Schwankungen verstärkt – und zwar losgelöst von den eigentlichen fundamentalen Daten des Angebots und der Nachfrage. Gerhard Schick nennt den Weizenmarkt als prägnantes Beispiel. Obwohl im Jahr 2008 die Weizenvorräte deutlich über denen der 1990er Jahre lagen und auch der Verbrauch geringer war als die Produktion, erreichte der Preis des Weizens ein Rekordhoch.

Spekulationen mit Lebensmittel verursachen Hunger

Im globalen Süden kam es in diesem Jahr zu äußerst gewalttätigen Hungerprotesten. Denn die Menschen in armen Ländern geben, anders als die Bürger in den Industrieländern, nicht etwa zehn bis zwanzig Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus, sondern meist über 80 Prozent. Da treiben selbst kleine Schwankungen die Menschen schnell in den Hunger. Harald Schumann von der Verbraucherschutzorganisation „Foodwatch“ klagt an: „Allein 2010 wurden durch höhere Nahrungsmittelpreise 40 Millionen Menschen zusätzlich zu Hunger und absoluter Armut verdammt.“

Harald Schumann fährt fort: „Die Spekulationen mit Lebensmitteln wie Mais, Soja und Weizen an Rohstoffbörsen stehen in dringenden Verdacht, diese Armut und den Hunger mitverursacht zu haben.“ Natürlich brauchen landwirtschaftlich Produzenten genauso wie ihre Kunden Planungssicherheit. Menschen oder Firmen, die an den Rohstoffmärkten gezielt Risiken übernommen haben, hat es immer gegeben. Problematisch ist allerdings der gestiegene Anteil derjenigen an den Märkten, die nur für den Spekulationsgewinn mitspielen. Quelle: „Machtwirtschaft nein danke!“ von Gerhard Schick

Von Hans Klumbies