Die Aufklärung war von unerschrockenen Freigeistern gekennzeichnet

Das 18. Jahrhundert entwickelte sich zur Epoche der großen „Entlarvung“: der Demaskierung aller – oder jedenfalls sehr vieler – Werte und Wahrheiten, die bis dahin als unantastbar gegolten hatten. Die Aufklärung sollte in Amerika und in Frankreich zu zwei politischen Revolutionen Anstoß geben, die in der Frage legitimer Machtausübung eine nachhaltige Veränderung herbeiführen würden. Zunächst war sie jedoch von einem nüchternen und respektlosen Blick auf alles gekennzeichnet, was unlängst noch Ehrfurcht gebietend erschien. Ger Groot erläutert: „Ein unerschrockener Freigeist hielt Einzug, der sogar vor den Entlarvung der Moral als ein fadenscheiniges Deckmäntelchen, das dazu diente, die egoistischen Motive zu verbergen, nicht zurückschreckte.“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

Das intellektuelle Leben brodelte in den Kaffeehäusern und Salons

Der neue Typus des Denkers, der hier in Erscheinung trat, hatte meist keine akademische Prägung. Er interessierte sich nicht für die „Schulphilosophie“. Sie war blutleer, zweitrangig, erneuerungsfeindlich, wenig aufregend, klerikal, fromm und bestenfalls scharfsinnig, aber langweilig – all das, was manche Kritiker heute Universitätsphilosophie im schlechtesten Sinne nennen würden. Es brodelte im intellektuellen Leben, nicht so sehr in den klerikalen Hörsälen, sondern mehr noch in den Kaffeehäusern und Salons, die in diesem Jahrhundert großen Anklang fanden.

Die Denker und Schriftsteller, die dort auftraten und in Frankreich als „Philosophes“ bekannt werden sollten, waren d`Holbach, Helvétius, d`Alembert und natürlich Voltaire. Sie alle waren keine Professoren, sondern Publizisten, Journalisten, Verleger – und das, was man seit Ende des 19. Jahrhunderts „Intellektuelle“ nennt: radikal sowohl auf politischer als auch auf philosophischer und wissenschaftlicher Ebene. Die Vornehmen unter ihnen schreiben vornehm aufgemachte Bücher – das vornehmste von allen war wohl die große „Encyclopédie“, die unter die Ägide von d`Alembert und Diderot das gesamte Wissen der Zeit in sich zu vereinen beanspruchte.

Die Pornografie richtete scharfe Angriffe gegen die Kirche und den Adel

Die weniger Vornehmen schrieben alles, was ihnen Geld für den eigenen Lebensunterhalt einbrachte; ihre Bandbreite reichte von Spott- und Schmähschriften, Pornografie und Schundromanen bis zu philosophischen Traktaten, in denen sie eigene oder gestohlene Ideen propagierten. Ger Groot erklärt: „Die Pornografie des 18. Jahrhunderts verfolgte nicht selten eine politische und ideologische Zielsetzung. Allem voran entlarvte sie die allzu idealistische Auffassung einer in der Ehe gebändigten und „handzahm“ gemachten Sexualität, indem sie den Menschen zu einem triebgeleiteten Wesen naturalisierte.“

Marquis de Sade sollte Ende des Jahrhunderts den Höhepunkt dieser Entwicklung bilden. Bei ihm wurde der libidinöse Mensch zugleich zur radikalen Negation aller Göttlichkeit, oder besser gesagt: Der Mensch erreichte das Göttliche erst in der Verfolgung seiner Triebe. Doch die Pornografie enthielt überdies oft auch eine explizite politische Botschaft, in der vor allem die beiden mächtigsten Institutionen des „Ancien Regime“ scharf angegangen wurden: Die Kirche und der Adel. Quelle: „Und überall Philosophie“ von Ger Groot

Von Hans Klumbies