Der Fundamentalist diskutiert nicht

Wer nicht integrieren kann, muss ausschließen. Wer zu keiner Weite gekommen ist, dem scheint das Enge natürlich. Wem die lustbetonte Vielfalt Unbehagen bereitet, der findet in strenger Einfalt Entlastung. Georg Milzner stellt fest: „Auf verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Sektoren lässt sich gegenwärtig wie in einigen Religionen dasselbe beobachten: die Hinwendung zum Fundamentalismus.“ Dieser Fundamentalismus hat spezifische Kennzeichen. Zum einen: Der Fundamentalismus diskutiert nicht. Oder zumindest nicht wirklich. Denn wenn zu einer Diskussion die Möglichkeit der Überzeugung durch das bessere Argument gehört, so merkt man im Gespräch mit dem Fundamentalisten, dass dies hier nicht gilt. Denn es sind seine Grundannahmen, die das Gespräch bestimmen. Grundannahmen, die nicht diskutierbar scheinen. Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

Die Persönlichkeit eines Fundamentalisten hat keine Chance zu reifen

Der Fundamentalist, könnte man also sagen, hat immer recht. Das macht es für ihn leicht, ohne nachdenken zu müssen, immer gleich zur Tat zu schreiten. Zum Zweiten ist der Fundamentalismus, indem er sich, seinem Namen getreu, auf Fundamente zu stützen glaubt, den Konfrontationen der Moderne entzogen. Die Auseinandersetzung mit neuen moralischen Fragen, das komplizierte Abwägen zwischen Entscheidungsmöglichkeiten, die individuelle Ausprägung eines resonanten Gewissens – das alles braucht der Fundamentalist nicht.

Georg Milzner betont: „Allerdings hat seine Persönlichkeit so auch keine Chance, zu reifen. Was ohne Auseinandersetzung bleibt, wird keine Kraft entwickeln und sich selbst keinen Halt geben können.“ Für einen Menschen aber, der sich selbst keinen Halt zu geben vermag, ist das künstliche Selbst eine Art Außenskelett. Ein Mensch, der merkt, dass seine haltende Struktur infrage gestellt wird, entwickelt Angst und Widerstand. Wer seine haltenden Überzeugungen angreift, der nimmt ihm ja potenziell Schutz und Struktur. Hier liegt der Grund dafür, dass der Fundamentalismus als künstliches Selbst nicht nur kuriose Züge hat. Sondern auch gefährliche.

Der Fundamentalist sucht den solidarischen Blick des Kameraden

Das Aufkommen fundamentalistischer Strömungen in Parteien und Glaubensgemeinschaften gründet zu wesentlichen Anteilen daran, dass hier Menschen, an denen die Aufmerksamkeit bisher vorbeigegangen ist, plötzlich welche für sich in Anspruch nehmen können. Dem Grundsatz folgend, dass schlechte Aufmerksamkeit immer noch besser ist als gar keine, wären sie sogar bereit, sich beschimpfen zu lassen, um nur das zu bekommen, was wir eben alle nötig haben: gesehen und wichtig genommen zu werden.

Freilich handelt es sich hier um eine andere Grundmotivation als im Narzissmus. Denn der Fundamentalist spiegelt sich nicht, er sucht den Schulterschluss. Der Blick, den er sucht, ist nicht der des bewundernden, anhimmelnden Gegenübers. Sondern der anerkennende und solidarische Blick des Kameraden, der mit ihm Schulter an Schulter steht. Dabei spielt, und dies ist eine bedeutende Triebfeder für die Errichtung eines fundamentalistischen künstlichen Selbst, das Können nur eine geringe Rolle. Quelle: „Wir sind überall, nur nicht bei uns selbst“ von Georg Milzner

Von Hans Klumbies