Gegenstände und Verfahren von Volksentscheiden sind begrenzt

Wenn das Recht im Staatsvolk wurzelt und vom Denken der Bürger geprägt wird, sichert die Demokratie nachhaltig eine bürgergerechte Staatlichkeit, hält aber nicht jeden Bürger für einen geeigneten Gesetzgeber. Paul Kirchhof erläutert: „Moderne Verfassungen anerkennen eherne Gesetze und weisen die Gesetzgebung grundsätzlich in die Kompetenz des Parlaments. Das Gesetz gilt auch gegenüber dem unmittelbar geäußerten Volkswillen.“ Gegenstände und Verfahren von Volksentscheiden sind begrenzt. Das hat drei Gründe. Erstens: Das Volk trifft freiheitsberechtigt Mehrheitsentscheidungen, entscheidet nicht – wie der Gesetzgeber – freiheitsverpflichtet. Der von einem Volksentscheid Betroffene wird deshalb den Verlust oder zumindest die Schwächung seiner Menschen- und Bürgerrechte hinnehmen müssen. Zweitens: Zudem ist die Fragestellung – die Verurteilung einzelner Bürger von Mytilene je nach ihrer Schuld – oft nicht zu einer Abstimmungsfrage zu vereinfachen, die mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten wäre. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

Die Demokratie begrenzt die Macht der Mehrheit

Drittens: Schließlich kann der dominierende Einfluss der Volkstribune oder Medien, die dem Volk die Abstimmungsfrage vermitteln und damit das Abstimmungsergebnis beeinflussen, den Entscheid des Volkes verfremden. Paul Kirchhof betont: „Das Grundgesetz sieht deshalb einen Volksentscheid auf Bundesebene nicht vor. Wenn die Landesverfassungen Volksentscheide in den Ländern und Gemeinden zulassen, kann der Volksentscheid durch nachfolgenden Entscheid des Volkes oder des Gesetzgebers geändert oder aufgehoben werden.“

Auch eine Demokratie kennt feste Regeln, begrenzt die Macht der Mehrheit, stellt der demokratisch unmittelbaren Entscheidung eine gelassene Bedachtsamkeit, letztlich das Bundesverfassungsgericht, zur Seite. Paul Kirchhof fasst zusammen: „Die Überlegungen zu Mensch und Natur haben ergeben, dass heute Gesetzmäßigkeiten der Natur und Gesetze der Humanität gemeinsam das Recht begründen. Der Mensch liest das Recht nicht im Buch der Natur.“

Die Natur offenbart sich dem Menschen

Er ist Teil der Natur, sucht sie in Freiheit zu beherrschen, erlebt aber immer wieder, dass er nur naturgebunden und naturbefangen beobachten, fühlen, beurteilen, denken kann. Paul Kirchhof erklärt: „Er wird durch diese Gebundenheit nicht beunruhigt, sondern anerkennt seinen Ort in der Welt, begreift, versteht und gestaltet von diesem Ort aus die Welt.“ Er erlebt sich in der Natur, ohne deshalb seine Freiheit infrage zu stellen. Er weiß sich wieder eins mit der Natur, ist als Subjekt, als Person in der Natur mit sich im Reinen.

Er versteht die Natur durch Kunst, Begegnung und Gefühl ebenso wie durch Messen und Experimentieren. Er lässt Wissenschaft und Fantasie, Beobachtung und Erlebnis nicht zu Gegensätzen werden. Paul Kirchhof stellt fest: „Die Natur offenbart sich dem Menschen, kann aber nicht durch Berechnung gezwungen werden, sich dem menschlichen Geist in dieser vorgedachten Ordnung zu zeigen.“ Der Regenbogen entfaltet einen poetischen Zauber der Natur. Er entsteht dadurch, dass das Licht durch Regentropfen gebrochen wird. Quelle: „Beherzte Freiheit“ von Paul Kirchhof

Von Hans Klumbies