Die Ungleichheit in Deutschland hat zugenommen

Deutschland ist ein gespaltenes Land geworden. Während die Reichen immer reicher werden, stagnieren die Einkommen der unteren Hälfte. Die Mittelschicht schrumpft, der Aufstieg ist schwieriger geworden. Und die breite Masse der deutschen Bevölkerung verfügt über keine nennenswerten Ersparnisse. Alexander Hagelüken weiß: „Zwei Drittel der deutschen Ökonomen konzedieren, dass die Ungleichheit zugenommen hat.“ In vielen Industriestaaten hat jene Hälfte der Gesellschaft, die nur einen Bruchteil des Vermögens besitzt, kaum vom Wachstum profitiert, kritisiert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): „Wenn so etwas passiert, zerfasert das soziale Gefüge.“ Es ist Zeit für die etablierten politischen Parteien, in Deutschland einen neuen Gesellschaftsvertrag zu verankern, der den wirtschaftlichen Erfolg besser aufteilt. Alexander Hagelüken ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig.

Es hat sich viel Unzufriedenheit in Deutschland angesammelt

Alexander Hagelüken stellt fest: „Viele Gutverdiener haben noch nicht begriffen, wie sehr auch sie profitieren, wenn es gerechter zugeht. Sozialer Friede ist in Deutschland zu selbstverständlich geworden – jene auf der Sonnenseite denken, sie müssten nichts mehr dafür tun.“ Dabei ist der Kurs der Globalisierung, der deutschen Firmen eine sagenhafte Expansion erlaubte, längst gefährdet. Linke und rechte Politiker in Europa und den USA wollen ausländische Waren an der Grenze aufhalten und neue Freihandelsverträge wie das transatlantische TTIP stoppen.

Populisten wie die AfD schüren die Stimmung gegen Flüchtlinge und alles Fremde, was ein Klima der Abschottung nährt. Der langjährige Wirtschaftsweise Bert Rürup warnt: „Eine Politik, die freien Welthandel und offene Finanzmärkte fördert und fordert, ist gut beraten, die Verlierer der Globalisierung nicht zu übersehen. Sonst droht sie den Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren.“ Die etablierten Parteien unterschätzen, welche Unzufriedenheit sich in Deutschland angesammelt hat. Und wie sie das Funktionieren des Gemeinwesens bedroht, an das sich alle zu sehr gewöhnt haben.

Ungleichheit nimmt Lebenschancen

Es ist Zeit zu handeln, bevor die Fundamente einstürzen. Alexander Hagelüken fordert einen neuen Gesellschaftsvertrag: „Er kümmert sich um die Mittelschicht. Er befähigt die ärmere Hälfte der Gesellschaft, mehr zu verdienen. Er beseitigt falsche Strukturen, sodass eine gute Ausbildung unabhängig von der Herkunft möglich wird. So das auf die individuellen Bedürfnisse benachteiligter Kinder, Arbeitsloser oder Flüchtlinge eingegangen wird, statt sie zu verwalten.“ Diese Veränderungen kosten nur teilweise Geld, aber sie müssen gewachsene Widerstände überwinden.

Ein neuer Gesellschaftsvertrag teilt auch in gewissem Maße um. Er stellt mehr Lebenschancen für die zur Verfügung, die Defizite haben. Er wird bezahlt von den Firmen der Reichen, die es sich leisten können und wieder stärker zum Gemeinwesen beitragen sollten. Bei der Linderung der Defizite geht es nicht nur um die offiziell Armen, sondern auch um viele andere Menschen. Jene, denen es an Qualifikation oder Verhandlungsmacht fehlt, um respektabel zu verdienen. Jene, die keine anständige Wohnung haben, denen ein Alter in einem billigen Pflegeheim bevorsteht. Ungleichheit nimmt Lebenschancen. Quelle: „Das gespaltene Land“ von Alexander Hagelüken

Von Hans Klumbies