Freiheit verlangt die Macht der Selbstbeherrschung

Die These, dass die Befreiung zur demokratisch-freien Subjektivität durch die Arbeit erfolgt ist, ist selbst eine demokratische These. Christoph Menke erklärt: „Es ist das Selbstverständnis der demokratisch Freien, dass sie sich ihre Freiheit selbst erarbeitet haben. Ihre aristokratischen Kritiker bestreiten das. Deren Gegenthese lautet, dass es vielmehr ohne Herrschaft – Herrschaft, nicht Arbeit – gar keine Freiheit gibt.“ Man muss daher Herrschaft über sich selbst ausüben können, um wahrhaft frei zu sein. Subjektivität wird durch Herrschaft konstituiert – in Friedrich Nietzsches Reformulierung dieses antidemokratischen Arguments: „Bei allem Wollen handelt es sich schlechterdings um Befehlen und Gehorchen.“ Wenn die Demokraten glauben, sich durch die Arbeit selbst befreit zu haben, dann verdrängen sie demnach die entscheidende Wahrheit, dass die Freiheit die Macht der Selbstbeherrschung verlangt, ja dass sie diese Macht ist. Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Ein Akt bloßer Unterdrückung kann nicht produktiv sein

Die Demokraten verdrängen diese Wahrheit, weil sie zur Selbstbeherrschung zu schwach sind; sie sind herrschaftsvergessen, weil sie herrschaftsunfähig, akratisch, sind. Deshalb verkommt ihre Freiheit zu neuer Knechtschaft. Laut Michel Foucault ist der aristokratische Einwand gegen das demokratische Freiheitsbewusstsein eine Art umgekehrte, affirmative und nach innen gewendete „Repressionshypothese“. Christoph Menke ergänzt: „Er beklagt nicht die Repression, sondern ihr Fehlen: weil es ohne Selbstbeherrschung und Selbstunterdrückung keine Freiheit des Handelns gebe.“

Dabei übersieht der aristokratische Einwand aber das Entscheidende: dass ein Akt bloßer Beherrschung und Unterdrückung nicht produktiv sein kann. Christoph Menke erläutert: „Ein solcher Akt kann auch dann, wenn er als Selbstbeherrschung und Selbstunterdrückung gedacht wird, nicht erklären, die die – neue, nichtnatürliche – Macht und Freiheit zu handeln hervorgebracht und gebildet wird.“ Dafür bedarf es eines ganz anderen Verständnisses davon, wie die Handelnden sich auf sich selbst beziehen.

Subjektive Freiheit besteht in der Macht zu handeln

Christoph Menke stellt fest: „Auch für die Macht, die das Subjekt über sich selbst ausübt – die über sich selbstauszuüben die Subjektivität ausmacht – gilt, was Foucault über die Macht sagt, die auf das Individuum im Prozess seiner Subjektivierung von außen einwirkt.“ Michel Foucault schreibt: „Man muss aufhören, die Wirkungen der Macht immer negativ zu beschreiben […]. In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches.“ Ein Name für diese produktive Arbeit des Selbst an sich selbst, welche die praktische Freiheit des Subjekts hervorbringt, ist „Disziplin“.

Weil die subjektive Freiheit praktisch ist und in der Macht zu handeln besteht, wird sie in Prozessen der Befähigung erarbeitet. Christoph Menke betont: „Befreiung heißt Befähigung, nicht Selbstbeherrschung. Handlungsmacht heißt nicht Herrschaft, sondern Fähigkeit. Dabei sind Fähigkeiten durch eine doppelte Integrationsleistung bestimmt: durch die innere Einheit von Geist und Körper und durch die äußere Einheit von Individuum und Gesellschaft.“ Jede Fähigkeit ist ein Medium und eine Instanz dieser doppelten Einheit. Quelle: „Theorie der Befreiung“ von Christoph Menke

Von Hans Klumbies