Die Weisheit zählt die Liebe zu den höchsten Tugenden

Die Weisheit, um mit Epiktet zu sprechen, lädt die Menschen ein zu unterscheiden, was von ihnen abhängt und was nicht. Wenn einem Menschen etwas passiert, das er sich nicht ausgesucht hat, liegt es dennoch an ihm, wie der damit umgeht. Eine schwere Krankheit kann man beispielsweise als Herausforderung ansehen oder sich von ihr niederdrücken lassen. Ein Weiser akzeptiert seine Krankheit, anstatt sie zu verleugnen. Dann versucht er, in Bezug auf das, was er beeinflussen kann, zu handeln. Zum Beispiel gute Medikamente zu finden und so positiv wie möglich mit der Situation umzugehen. Frédéric Lenoir ergänzt: „Schließlich, wenn wir trotz all unserer Anstrengungen nicht gesund werden, müssen wir uns erneut in das Unausweichliche fügen, da wir es nicht vermeiden können: die chronische Krankheit oder den Tod.“ Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

Der Weise sagt „Ja“ zum Leben

Die Weisheitslehre schlägt den Menschen vor, das zu akzeptieren, was ist und was man nicht ändern kann. Aber sie rät auch, in Bezug auf das, was man ändern kann, zu handeln. Beispielsweise kann jeder auf sein Inneres – seine Gefühle und Gedanken – und sein Umfeld einwirken, etwa um die richtige Behandlung zur Genesung zu finden. Wenn ein Mensch handeln kann, um jemandem zu helfen, um sein Leid zu lindern, gegen eine Ungerechtigkeit zu kämpfen, dann ermutigt ihn die Weisheit dazu.

Denn die Weisheit zählt Liebe, Mitleid und Gerechtigkeit zu den höchsten aller Tugenden. Die Haltung, alles was ist, anzunehmen, dieses „Ja“ zum Leben findet sich auch im Rahmen materialistischer und atheistischer Weisheit. Epikur und sein wichtigster Schüler Lukrez, glauben weder an Gott noch an die Unsterblichkeit der Seele. Gleichwohl empfehlen sie eine Haltung freudiger Akzeptanz dessen, was ist und was sich nicht vermeiden lässt, um ihren Seelenfrieden zu bewahren.

Glück und Unglück gehören zum Leben

Das entspricht auch in gewisser Weise der Ansicht von Montaigne, den man als agnostischen Denker bezeichnen könnte. Und ebenso der von Friedrich Nietzsche, der ein entschiedener Atheist ist. Nach Art der Philosophen der Antike preist Friedrich Nietzsche die ausnahmslos freudige Zustimmung zu allem, was ist. Er lädt die Menschen ein, „Ja“ zu sagen und das Schicksal zu lieben: amor fati. Für ihn gehören sowohl Glück als auch Unglück zum Leben. Wer also ein erfülltes Leben führen möchte, sollte alles akzeptieren was das Leben bereithält: Freud und Leid, Vergnügungen und Schmerzen.

Friedrich Nietzsche schlägt vor, das Leben wie die Musik zu lieben. Man liebt zum Beispiel ein musikalisches Werk, weil sich Ton und Stille darin abwechseln. Weil es erhabene und freudige sowie langsamere und trauriger Momente darin gibt. Oder weil sie ganz harmonische und stark dissonante Passagen enthält. Frédéric Lenoir weiß: „Es ist gerade dieser Kontrast von fröhlichen und schmerzlichen, von lichten und verhangenen Augenblicken, der die Schönheit des Lebens ausmacht. Quelle: „Weisheit“ von Frédéric Lenoir

Von Hans Klumbies

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