Die Bildung von Theorien macht den Menschen so erfolgreich

Politische Theorien bauen typischerweise auf Theorien über das menschliche Verhalten auf. Diese arbeiten Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Handelns aus der Menge empirischer Informationen heraus, die Menschen über ihre Umgebung gewinnen und stellen Kausalverbindungen zwischen solchen Handlungen und der Umwelt her. Francis Fukuyama erläutert: „Die Fähigkeit zu theoretisieren ist ein wichtiger Faktor für den evolutionären Erfolg der Gattung Mensch.“ Viele praktisch veranlagte Individuen lehnen diese Meinung allerdings ab, handeln jedoch stets im Einklang mit unausgesprochenen Theorien, deren Existenz sie schlicht leugnen. Die moderne Wirtschaftswissenschaft beruht auf einer Theorie, nach der Menschen „rationale Nützlichkeitsmaximierer“ sind, also Individuen, die ihre beeindruckenden kognitiven Fähigkeiten für ihr Eigeninteresse einsetzen. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

Die individuellen Präferenzen machen die „Nützlichkeitsfunktion“ einer Person aus

Mit dieser Theorie sind mehrere zusätzliche Annahmen verknüpft. Eine besagt, dass das Individuum maßgeblich ist – im Gegensatz zu einer Familie, einem Stamm, einer Nation oder einer sonstigen sozialen Gruppe. Wenn Menschen miteinander kooperieren, dann nur, weil sie sich ausrechnen, dass die Zusammenarbeit ihrem Eigeninteresse eher dient als individuelles Handeln. Die zweite Annahme betrifft den Charakter der „Nützlichkeit“, das heißt, die individuellen Präferenzen, die laut Ökonomen die „Nützlichkeitsfunktion“ einer Person ausmachen.

Viele Ökonomen beharren darauf, dass ihre Theorien nichts über die letztlich von Menschen gewählten Präferenzen oder Nützlichkeiten aussagen, denn die Entscheidung treffe stets der Einzelne. Francis Fukuyama kritisiert: „Das Problem ist, dass solch eine Wirtschaftstheorie kaum eine Vorhersagekraft besitzt, wenn die Präferenzen nicht auf ein materielles Eigeninteresse wie das Streben nach Einnahmen oder Wohlstand begrenzt sind.“ Erweitert man die Idee der Nützlichkeit auf Extreme sowohl egoistischen als auch altruistischen Benehmens, bringt man kaum mehr als die Tautologie zum Ausdruck, dass Menschen genau das anstreben, was sie sich vorgenommen haben.

Viele Menschen handeln in der Praxis nicht rational

In Wirklichkeit benötigt man aber eine Theorie, die erklärt, weshalb manche Menschen nach Geld und Sicherheit trachten, während andere bereit sind, für eine Sache zu sterben, oder Zeit und Geld aufzuwenden, um ihre Mitbürger zu unterstützen. In der Praxis setzen die meisten Ökonomen tatsächlich voraus, dass Nützlichkeit auf irgendeine Art des materiellen Eigeninteresses basiert, die andere Motivationen übertrumpft. Diese Ansicht wird von zeitgenössischen Verfechtern der Marktwirtschaft und klassischen Marxisten geteilt.

Die Ökonomik ist heute zu einer dominierenden und renommierten Sozialwissenschaft geworden, da die Menschen ihr Verhalten oftmals tatsächlich an der von ihr vertretenen restriktiven Variante der menschlichen Motivation ausrichten. Materielle Anreize sind durchaus von Belang. Im Laufe der beiden vergangenen Jahrzehnte haben Verhaltensökonomen und –psychologen wie Daniel Kahneman und Amos Tversky die Grundvoraussetzungen des Modells attackiert, indem sie aufzeigten, dass Menschen in der Praxis nicht rational sind, sondern zum Beispiel Standardverhaltensweisen den Vorzug gegenüber geeigneteren Strategien geben oder sich die schwere Arbeit des Nachdenkens ersparen, indem sie die Aktivitäten anderer und ihrer Umgebung nachahmen. Quelle: „Identität“ von Francis Fukuyama

Von Hans Klumbies