Im Naturzustand war der Mensch nicht sündhaft

Der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau war der wesentliche Urheber zahlreicher Ideen. Diese sollten später für eine Vielzahl moderner Trends entscheidend sein. Dazu zählen Demokratie, Menschrechte, Kommunismus, Anthropologie und Umweltschutz. In seinen Augen war die natürliche Güte des inneren Selbst ein Motiv, das seine verschiedenen politischen, gesellschaftlichen und persönlichen Schriften miteinander verband. Francis Fukuyama erläutert: „Jean-Jacques Rousseau kehrte die auf dem Christentum fußende moralische Bewertung des Inneren um.“ Christen wie Martin Luther glaubten an die Erbsünde. Menschen waren für ihn gefallene Geschöpfe, die allein durch die Liebe Gottes erlöst werden könnten. In seinem „Diskurs über die Ungleichheit“ argumentier Jean-Jacques Rousseau dagegen. Der erste Mensch – der Mensch im Naturzustand – sei nicht sündhaft gewesen. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

Das Elend begann mit der Entdeckung der Gesellschaft

Es gibt Merkmale, die man normalerweise mit der Sünde und dem Bösen assoziiert. Dazu zählen Eifersucht, Habgier, Gewalt, Hass und dergleichen. Sie seien für die frühesten Vertreter der Menschheit nicht charakteristisch gewesen. Laut Jean-Jacques Rousseau gab es keine Urgesellschaft. Denn die frühen Menschen waren seiner Meinung nach furchtsame, isolierte Geschöpfe mit begrenzten Bedürfnissen, etwa nach Sex, nicht jedoch nach einer Familie. Gier und Neid sei ihnen fremd, Mitleid ihre einzige natürliche Emotion gewesen.

Jean-Jacques Rousseau zufolge begann das menschliche Elend mit der Entdeckung der Gesellschaft. Die ersten Menschen hätten ihren Abstieg durch die Zähmung von Tieren eingeleitet. Diese brachte „die erste Regung von Hochmut“ hervor. Dann hätten sie zum gegenseitigen Schutz und Vorteil die Zusammenarbeit aufgenommen. Diese engere Verbindung „musste im Geist des Menschen natürlicherweise die Wahrnehmungen bestimmter Beziehung hervorrufen […]. Diese drücken sie mit den Wörtern groß, klein, stark, schwach, schnell, langsam, furchtsam, kühn ausdrücken, und andere ähnliche Vorstellungen […]“.

Jean-Jacques Rousseau verurteilte die Selbstsucht

Die Fähigkeit, sich mit anderen Personen zu vergleichen und sie zu beurteilen, sei die Quelle des menschlichen Unglücks gewesen: „Sobald die Menschen sich gegenseitig zu schätzen begonnen hatten und die Vorstellung der Achtung in ihrem Geist gebildet war, beanspruchte jeder ein Recht darauf zu haben, und es war nicht mehr möglich, es irgendjemanden gegenüber ungestraft daran fehlen zu lassen.“ Jean-Jacques Rousseau verurteilte den Wechsel von der Selbstliebe zur Selbstsucht oder Eitelkeit. Schlichtes Eigeninteresse verwandelte sich in Stolz und den Wunsch nach sozialer Anerkennung.

Er fährt fort, das Privateigentum sei durch die Entdeckung der Metallurgie und der Landwirtschaft entstanden. Die Fähigkeit, Privateigentum anzusammeln, habe die Menschen unvergleichlich wohlhabender werden lassen. Doch sie habe auch die natürlichen Unterschiede zwischen den Individuen stark hervorgehoben sowie Eifersucht, Neid, Stolz und Scham auf neue Höhepunkte getrieben. Für Jean-Jacques Rousseau war der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: „dies ist mein“ der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Er fand dann Leute, die einfältig genug waren, ihm zu glauben. Quelle: „Identität“ von Francis Fukuyama

Von Hans Klumbies