Das Bewusstsein ist nach wie vor ein Rätsel

Zunächst einmal erscheint es offensichtlich, dass Innen- und Außensicht nicht unabhängig voneinander existieren. Fabian Scheidler weiß zum Beispiel, dass bestimmte Empfindungs-, Wahrnehmungs- und Denkvermögen verschwinden oder erheblich beeinträchtigt sind, wenn man entsprechende Teile des Nervensystems beschädigt oder zerstört. Wenn bei einem Menschen die Nerven der Hand durchtrennt sind, kann er zwar noch Phantomschmerz empfinden, aber nicht mehr die Wärme und das Gewicht einer anderen Hand auf der seinen spüren. Verletzungen bestimmter Hirnregionen wirken sich auf die Wahrnehmungs-, Sprach- und Bewegungsfähigkeiten der Betroffenen aus. Bildgebende Verfahren haben diese Erkenntnisse in den vergangenen Jahrzehnten erheblich präzisiert. Sie haben gezeigt, dass bestimmte lokalisierbare Hirnregionen für spezialisierte Funktionen unverzichtbar sind. Angeregt von diesen Untersuchungen haben viele Biologen geglaubt, es ließe sich ein anatomisch umgrenztes Substrat des Bewusstseins finden. Der Publizist Fabian Scheidler schreibt seit vielen Jahren über globale Gerechtigkeit.

Das Gedächtnis ist über das gesamte Gehirn verteilt

Schon René Descartes hatte vermutet, das menschliche Bewusstsein habe seinen Sitz in einer bestimmten Region, der Zirbeldrüse. Spätere Forscher wollten es im Thalamus oder in anderen Regionen lokalisieren. Fabian Scheidler stellt fest: „Doch muss man die bisherigen Anstrengungen, einen Sitz des Bewusstseins dingfest zu machen, als gescheitert betrachten.“ Die Dimension bewussten Erlebens lässt sich offenbar nicht anatomisch eingrenzen, sondern ist mit weitverzweigten Aktivitäten über große Teile des Nervensystems verbunden.

Das trifft auch für das Gedächtnis zu, das nicht mit einer Festplatte zu vergleichen ist, wo Daten an einem bestimmten Ort gespeichert sind. Sondern es scheint über das gesamte Gehirn verteilt zu sein. Die Fähigkeiten der Erinnerung scheinen mit einer mehr oder minder dauerhaften Veränderung von Synapsen zusammenhängen, und zwar verstreut über verschiedene Hirnareale. Darüber hinaus aber existiert bis heute keine allgemein anerkannte und überprüfbare Theorie über die neuronalen Grundlagen des Gedächtnisses.

Der Mensch ist eine geistige und emotionale Ganzheit

Die Suche nach einem im Gehirn lokalisierbaren Korrelat des Bewusstseins führt aber auch noch durch einen anderen Grund womöglich in die Irre. Fabian Scheidler erklärt: „Unser Nervensystem ist weit mehr als das Gehirn. Das enterische Nervensystem, bisweilen auch Bauchhirn genannt, ist beispielsweise an vielen emotionalen Prozessen beteiligt. Auch die Haut – das größte Organ des menschlichen Körpers – spielt eine zentrale Rolle für unser Erleben und unsere Persönlichkeit.“

Für den britischen Biologen Denis Noble ist das Gehirn nicht der Sitz des Bewusstseins, der Persönlichkeit oder des Selbst. Es ist der ganze Mensch, als physisch, geistige und emotionale Ganzheit. Seine Haut gehört ebenso dazu wie sein Gehirn. Fabian Scheidler ergänzt: „Zugleich ist aber auch eine Gleichsetzung des Nervensystems als Ganzes mit bewusstem Erleben nicht möglich. Viele Nervenaktivitäten laufen vollkommen unbewusst ab.“ Quelle: „Der Stoff aus dem wir sind“ von Fabian Scheidler

Von Hans Klumbies

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