Im Beruf sind Luxusaufgaben selten

Das „Bloß nicht arbeiten!“-Phänomen zieht sich durch alle Altersschichten und Hierarchieebenen, Branchen, Berufsgruppen, Unternehmen, Verbände, Vereine und Familien: Einige sind voll dabei, übernehmen Verantwortung und Aufgaben und bringen Leistung, während andere gerade einmal das Nötigste erledigen. Wohlgemerkt: Nicht, weil sie nicht könnten, am Ende ihrer Kräfte oder dem Burn-out nahe sind. Nein, wer objektiv nicht kann oder überfordert ist, den und die nimmt Evi Hartmann ausdrücklich von jedem Vorwurf aus: „Ich meine vielmehr jene, die von ihren Voraussetzungen, Qualifikationen und Fähigkeiten durchaus in der Lage sind, die gesellschaftlichen Aufgaben zu erledigen. Sie tun es bloß nicht. Und sie leiden auch nicht darunter, dass sie es nicht tun.“ Prof. Dr.-Ing. Evi Hartmann ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management, an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg.

In Büros herrscht vielfach eine Kultur der Verlogenheit

Im Gegenteil: Es geht ihnen gut, blendend sogar. Ist ja auch logisch: Wenn jemand eine Aufgabe, eine Verantwortung nicht übernimmt, dann erspart er oder sie sich damit erst einmal Aufwand, Stress und Energie – die dann ein anderer aufbringen muss. Denn im Beruf und Leben werden ja meist keine Luxusaufgaben verteilt, auf die man gut und gerne auch verzichten könnte. Dabei ist die Arbeit in vielen Unternehmen nicht weniger, sondern mehr geworden, zum Beispiel wegen der Digitalisierung.

Der amerikanische Forscher Robert Paulsen fand heraus, dass in der Arbeitswelt und insbesondere in deren Büros vielfach eine Kultur der Verlogenheit und Leistungsvermeidung vorherrscht. Viele der Auskunftspersonen seiner Studie gaben an, keinen Sinn in ihrer Arbeit zu sehen und lediglich zur Arbeit oder ins Büro zu gehen, um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Man arbeitet, weil man arbeiten muss, nicht um Leistung zu erbringen. Diese Einstellung greift in jüngster Zeit epidemisch um sich.

Nur noch wenige wollen Großes leisten

Menschen wollen immer noch Firmen gründen, die Welt verändern, Projekte vorantreiben, Aufgaben stemmen, Krankheiten heilen, Patente anmelden, Erfindungen machen, Erfolge erzielen, Meisterschaften gewinnen, Preise erringen, Nationen lenken, Institutionen gründen, Unternehmen führen, Märkte erobern, Deals abschließen, Akquisen stemmen und Karriere machen. Das ist nicht das Problem. Evi Hartmann weiß: „Das Problem sind jene, die das nicht mehr wollen. Manche Menschen wollen leisten. Andere wollen das neueste Handy, um fünf Uhr Feierabend und jede Überstunde bezahlt.“

Das ist nicht bloß ein Trend. Das ist die Katastrophe. Die Haltung, nichts Wesentliches mehr ändern, nichts Großes mehr leisten, nichts Wegweisendes mehr erreichen zu wollen, breitet sich immer weiter aus. Und das während die Menschheit vor großen Aufgaben steht. Das Klima kollabiert, die Meere werden zugemüllt, die Populisten übernehmen Regierungen, die digitale Revolution bedroht Unternehmen und Arbeitsplätze. Dabei geht es nicht um Schuld, sondern um die Frage, wer die Sauerei wegmacht. Und das sind sicher nicht jene, die Tag für Tag pünktlich um fünf Uhr Feierabend machen, was schon schlimm genug ist. Quelle: „Ihr kriegt den Arsch nicht hoch“ von Evi Hartmann

Von Hans Klumbies