Die Vorstellung, die romantische Liebe bilde einen Eckpfeiler der Kultur des Kapitalismus, ist nicht neu. In seiner Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ (1884), einer vehementen Kritik der Familie von der griechischen Antike bis zum bürgerlichen Zeitalter, verdammte Friedrich Engels die Familie, weil sie die Frauen den Männern unterwerfe und das Privateigentum schütze – durch das Erbrecht. Eva Illouz schreibt: „Für Engels ist die monogame bürgerliche „Liebesehe“ eine heuchlerische Illusion, die eher klassenmäßig als gefühlsmäßig bedingt ist, und sie bleibt letztlich eher eine Sache der Konvention als der Liebe.“ Nur in der Arbeiterklasse, die materiell nichts zu gewinnen oder verlieren hat, könne sich „wahre“ romantische Liebe entwickeln. Die Soziologin Eva Illouz ist seit dem Jahr 2006 Professorin für Soziologie an der Hebrew University in Jerusalem.
Karl Marx und Friedrich Engels trennen die Ware vom Gefühl
Deshalb, so Karl Marx und Friedrich Engels am Ende ihres „Kommunistischen Manifests“ könnten Familie und Liebe nur in einer kommunistischen Gesellschaft, die vom Privateigentum und dem Gewinnstreben befreit ist, frei sein von Herrschaft- und Interessenbeziehungen. Die politische Utopie von Karl Marx und Friedrich Engels implizierte unübersehbar eine totale Trennung von Ware und Gefühl, von Interesse und Liebe als Vorbedingung authentischer, im vollsten Sinne des Wortes menschlicher Beziehungen.
Einige Anhänger der Frankfurter Schule verbanden die marxistische und die Lehre von Sigmund Freud miteinander und verfeinerten diese Kritik des Kapitalismus, indem sie ihm eine Gesellschaftsutopie gegenüberstellten, in der die Liebe einen Ehrenplatz einnahm. Herbert Marcuse behauptete, das erotische Verlangen könne und müsse von den psychischen Anforderungen des kapitalistischen Produktionssystems befreit werden. Denn laut Herbert Marcuse unterwerfe das „Realitätsprinzip“, das den Kapitalismus beseelt, das Begehren dem ehernen Gesetz der Produktivität.
Die Liebe bleibt eine der wichtigsten Mythologien der Gegenwart
Erich Fromm untermauerte Marcuses Kritik, lieferte jedoch eine andere Analyse der Beziehung zwischen Kapitalismus und der Liebe. In seinem Buch „Die Kunst des Liebens“ (1956) behauptete Erich Fromm, dass die moderne Liebe mit den gleichen Begriffen wie die kapitalistischen ökonomischen Austauschbeziehungen erfasst werde. Das moderne Liebespaar sei zu einem „Arbeitsteam“ geworden und habe damit die Werte und Denkweisen der modernen ökonomischen Verhältnisse übernommen.
Eva Illouz erklärt: „Sowohl Marcuse wie Fromm begreifen das Verhältnis von Gesellschaft und Liebe somit als politische Frage und öffnen damit den Weg zu einer politischen Kritik von Sexualität, Begehren und Liebe.“ Trotz des tief greifenden Einflusses, die diese Kritiker auf die Gelehrtenwelt und, eher am Rande, auf die Studentenbewegung der 1960er Jahre hatten, gelang es ihrer Vision nicht, die gängigen Vorstellungen von Liebe in irgendeiner Weise zu verändern. Die Liebe bleibt daher eine der wichtigsten Mythologien der Gegenwart. Quelle: „Der Konsum der Romantik“ von Eva Illouz im Reclam Heft „Was ist Liebe?“
Von Hans Klumbies