Es gibt Menschenfeindlichkeit über den Tod hinaus

Karl-Markus Gauß hegt die Hoffnung, dass der Kommunismus wenigstens im Jenseits ohne seine irdischen Makel, Fehler, Verbrechen verwirklicht werde. Er muss aber akzeptieren, dass es in der globalisierten Welt überall Angehörige ethischer, kultureller, religiöser Gruppen gibt, die nur in gründlich von allen Fremden gesäuberten Gelände bestattet werden möchten. Markus Gauß erläutert: „Mir ist dieser Wunsch unverständlich. Ich halte ihn für beschränkt, ja für menschenfeindlich über den Tod hinaus.“ Aber er akzeptiert natürlich, dass Millionen Muslime, die in Europa leben, es als eines ihrer wichtigsten religiösen Anliegen erachten, dereinst nicht neben den Leichen der Ungläubigen oder Falschgläubigen zu liegen zu kommen. Karl-Markus Gauß lebt als Autor und Herausgeber der Zeitschrift „Literatur und Kritik“ in Salzburg. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und oftmals ausgezeichnet.

Die Mehrheit besteht heute aus gesellschaftlichen Minderheiten

Wie Karl-Markus Gauß auch anerkennt, dass viele Juden aus der nämlichen Vorstellung von Reinheit heraus als Tote unter sich bleiben möchten. Und dass auf dem schönsten Friedhof von Salzburg, dem der Benediktiner von St. Peter, man nur die Gebeine getaufter Katholiken bestatten darf. Der Wunsch, sich in der modernen Welt mit ihren fließenden Grenzen abzugrenzen, zu separieren, noch im Tod den Kreis der Seinen zu schließen, treibt seltsame Blüten.

Karl-Markus Gauß stellt fest: „Ihr alle, die ihr im Leben mit Menschen auskommen musstet, die anders waren als ihr, könnt euch zuversichtlich ins Jenseits wenden. Wenigstens der Tod sondert euch von denen absondern, die gleich euch gestorben sind.“ Die Mehrheit besteht heute aus lauter gesellschaftlichen Minderheiten, das ist neu. Früher bestand die Mehrheit eben aus Mehrheit, deren Mitglieder sich nicht dadurch definierten, dass sie sich in ihrer Individualität von anderen unterschieden.

Fast niemand kämpft für eine gerechte Gesellschaft

Heutzutage fühlt sich ein jeder diversen Minderheiten zugehörig und daher mehrfach benachteiligt. Darum fordern sie alle Respekt für sich und die Weise, nach der sie leben möchten. Sie fordern die Umgestaltung des öffentlichen Raumes, der Sprachregelungen, des Steuersystems, der Verwaltung gemäß spezifischen Eigenschaften, die sie als die ihren entdeckt haben. Dennoch ist es just unverschämt, just Benachteiligten die Last aufzubürden, frei von dem berechnenden Egoismus wie der feigen Angepasstheit zu leben, die dem Normalidioten der Mehrheit durchaus heilig ist.

Mittlerweile gibt es jedoch längst nicht mehr nur die leidenden oder um ihre gerechten Anliegen kämpfenden Minderheiten. Alle Bürger sind vielmehr eine Gesellschaft der Minderheiten geworden. Und wenn etwas den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht, dann ist es der Aufstand der hunderterlei Minderheiten. Jeder hat recht, wenn er sein Recht einfordert. Aber alle kämpfen sie trotzdem nicht für eine gerechte Gesellschaft, was immer das sei. Quelle: „Die Jahreszeiten der Ewigkeit“ von Karl-Markus Gauß

Von Hans Klumbies

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