Wird Europa gerade von einer Welle des Populismus überrollt? Bevor man auf diese Frage antwortet, muss man sich über die Bedeutung dieses Begriffs verständigen. Alain Finkielkraut erläutert: „Die drei wichtigen Elemente des Populismus im klassischen Verständnis sind der Antielitarismus, der Antiintellektualismus und die Ablehnung von Andersartigkeit gleich welcher Art.“ Der Fisch stinkt vom Kopf her, sagte Pierre Poujade, einer der Großväter des Populismus, der „die von hier“ gegen „die von anderswo“ und gleichzeitig die Kleinen gegen die Großen verteidigte. Diese Sichtweise und dieser Sprachgebrauch haben noch ihre Anhänger. Aber die Gegenwart unterscheidet sich von den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts durch den „Durchbruch des Kulturpopulismus“, um eine sehr erhellende Formulierung von dem französischen Politikwissenschaftler Dominique Reynié aufzugreifen. Alain Finkielkraut gilt als einer der einflussreichsten französischen Intellektuellen.
Der Populismus füllt die Lücke des Kulturelitarismus
Dieser Populismus beruft sich auf das Recht zur geschichtlichen Kontinuität. So sagt Ortega y Gasset: „Der Mensch hat keine Natur. Was er hat, ist Geschichte“, er sei nie ein erster Mensch, er könne nur auf einer bestimmten Höhe angehäufter Vergangenheit fortleben, das ist seine Schatzkammer, sein Privileg, das zeichne ihn aus. Nach Adolf Hitler wollte man den nationalen Identitäten und die europäische Identität von allem identitären Gehalt befreien, nach dem Modell des „Verfassungspatriotismus“ von Jürgen Habermas.
Alain Finkielkraut erklärt: „Um sich gegen die alten Dämonen des Partikularismus zu wappnen, verzichtete man auf das Kulturerbe zugunsten der universellen Werte. Es gibt also keinen Kulturelitarismus mehr, diese Lücke füllt der Populismus.“ Das Volk, oder ein bestimmter Anteil desselben, will eine Welt erhalten, die von den herrschenden Klassen durch die Regeln der Marktwirtschaft und des Rechts abgelöst werden soll. Dieses Bedürfnis gilt als fremdenfeindlich.
Die Veränderung der Bevölkerung führt zu einem Wandel der Identität
Und so vermengt man in ein und demselben Vorwurf die Angst vor Fremden mit dem Schmerz, im eigenen Land zum Fremden zu werden. Alain Finkielkraut weiß: „Vom Schmerz kann man in die Angst und von der Angst in den Hass abgleiten: Bestimmte politische Gruppierungen in Europa erliegen dieser schrecklichen Versuchung.“ Ein solches Abgleiten verhindert man nicht, indem man den Schmerz kriminalisiert, sondern indem man ihn anerkennt und nach Mitteln sucht, Abhilfe zu schaffen.
Im Namen wirtschaftlicher Notwendigkeiten, moralischer Imperative und der „Vorteile kultureller Diversität“ fordert der Europarat und die Kommission mit unerschütterlicher Beharrlichkeit ständig mehr Einwanderung aus nicht europäischen Ländern. Alain Finkielkraut warnt: „Wenn Europa aber seine Bevölkerung verändert, führt das zum Wandel seiner Identität. Wenn der Ansturm des jungen Afrikas auf den Alten Kontinent anhält – und warum sollte er aufhören? – wird Europa unausweichlich etwas anderes werden, als es ist.“ Quelle: „Vom Ende der Literatur“ von Alain Finkielkraut
Von Hans Klumbies