Selbstvermessung soll von der Geißel der inneren Schwäche erlösen

In der Regel beginnt die Leidenschaft für die Selbstvermessung möglichst vieler Körper- und Lebensdaten mit einem festen Vorsatz, der sich mit hoher Technikfaszination verbündet. Ernst-Dieter Lantermann ergänzt: „Man möchte seinen „inneren Schweinehund überwinden“, seine Vorsätze nach einem gesünderen Leben endlich in die Tat umsetzen, nachdem so viele Anläufe im Sande verlaufen sind.“ Die jederzeit verfügbaren digitalen Wunderwaffen können die Anwender, so die Hoffnung, von der „Geißel der inneren Schwäche erlösen“, wie es Roy Baumeister auf den Punkt bringt. Angeschlossen an die digitalen Geräte, messen die Selbstvermesser ihre zurückgelegte Joggingstrecke, die geleistete Schrittzahl und die Anzahl der Kalorien, die sie bei ihrer körperlichen Ertüchtigung verbrannt haben. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

Die Fitness-App motiviert zu neuem Training

Zu Hause angekommen, stellen sie sich auf die Diagnosewaage, die ihr Gewicht, den Körperfettanteil, Muskelmasse, Wassereinlagen und die Knochenmasse misst. So enthalten sie ein unbestechliches Bild der Entwicklung ihrer Fitnesswerte, aber auch ihrer Nachlässigkeiten sowie ihrer Selbstdisziplin. Ernst-Dieter Lantermann fügt hinzu: „Sollte es an Letzterer hapern, erinnert sie die Fitness-App mit freundlichen, aber eindringlichen Hinweisen daran, dass die Zeit für eine neue Fitnessrunde gekommen ist.“

Mit Apps wie Nike+ oder Fitbit können die User die eigenen Werte mit denen anderer Fitnessaktivisten vergleichen. Diese Möglichkeit ist für viele Selbstvermesser hochattraktiv, können sie doch auf diesem Wege kontrollieren, ob sich ihr Ranking verbessert oder verschlechtert hat. Der Vergleich mit den Fitnessdaten anderer Nutzer macht aber nicht nur Spaß, sondern stachelt an und fördert die Motivation zur körperlichen Selbstdisziplin. Gemäß der „Selbstbestimmungstheorie“ von Richard Ryan und Edward Deci wird eine Handlung dann eher aus eigenem Antrieb ausgeführt, wenn mit ihr die grundlegenden Bedürfnisse nach Kompetenz, Selbstwirksamkeit und nach sozialer Bezogenheit zu anderen Menschen angesprochen und befriedigt werden.

Selbstvermesser dürfen sich nicht gegenseitig unter Druck setzen

Das rückgemeldete effektive Erreichen eines Trainingsziels dürfte das Erleben hoher eigener Kompetenz und Selbstwirksamkeit intensivieren. Die Weitergabe des Erfolgs des Trainings an andere Fitness-Tracker befördert das Gefühl der Verbundenheit mit Gleichgesinnten. Sind diese Bedingungen erfüllt, wächst die Motivation zum Fitnesstraining, was wiederum die Motivation zur Selbstvermessung beflügelt. Voraussetzung für diese motivationsfördernde Wirkung des sozialen Vergleichs ist allerdings, dass sie Selbstvermesser sich nicht gegenseitig unter Druck setzen.

Die Fitnessdaten der anderen sollten nur als unterstützende und ermunternde Informationen für die eigenen Aktivitäten wahrgenommen werden. Ernst-Dieter Lantermann stellt fest: „Fitnessoptimierung, Selbstvermessung und sozialer Vergleich stellen eine wirksame Motivationstriade dar, die den Selbstvermesser zu immer intensiveren Fitnesstrainings anstachelt.“ Bei vielen Selbst-Trackern wächst mit der Dauer ihrer Selbstvermessung die Lust auf noch mehr Daten über ihren Körper und ihre Lebensgewohnheiten. Quelle: „Die radikalisierte Gesellschaft“ von Ernst-Dieter Lantermann

Von Hans Klumbies

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