Die Romane von Ernst Augustin schäumen vor Phantasie über

In einem der Romane von Ernst Augustin heißt es, der Sinn des Lebens bestehe darin, sich in der Welt wohnlich einzurichten. Auf dem Cover seines jüngsten Romans „Robinsons blaues Haus“ hat ihn seine Frau Inge, die als Malerin die Umschläge seiner Bücher gestaltet, mit geschlossenen Augen gemalt. Denn der Schriftsteller Ernst Augustin is fast völlig blind. Obwohl er keine Bücher mehr lesen kann, schreibt er weiter. Er gilt, wie er selbst gerne kokettiert, als ewiger Geheimtipp unter den deutschen Literaten. Davon kann jedoch längst keine Rede mehr sein. Ernst Augustin, der im Jahr 1927 geboren wurde, hat für seine Romane, die vor Phantasie strotzen, zahlreiche Literaturpreise erhalten und wurde im Jahr 2012 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Zu seinen bekanntesten Romanen zählen „Raumlicht: Der Fall Evelyne B.“ und „Die Schule der Nackten“.

Ernst Augustins Träume leuchten in ungeheuer brillanten Farben

Vor drei Jahren merkte Ernst Augustin, dass in seinem Kopf etwas nicht stimmte. Bei einer Untersuchung fanden die Ärzte drei gutartige Tumore. Bei der Operation kam er allerdings zu einem ärztlichen Kunstfehler – der Sehnerv wurde durchtrennt. Als Ernst Augustin aufwachte, war er von ewiger Mitternacht umgeben. Heute sieht der Schriftsteller der in München-Neuhausen lebt, nur noch Schemen und Schatten. Auch Riechen kann er nicht mehr. Ernst Augustin fügt hinzu: „Das Schlimmste ist aber, dass bei mir meine Hypophyse zerstört wurde. Seither arbeitet meine Schilddrüse nicht mehr. Das schafft eine unendliche Schwäche, ein Vernichtungsgefühl.“

Ernst Augustin hat festgestellt, dass die Erblindung seinen Schreibstil verändert hat. In „Robinsons blaues Haus“ sind ihm alle Schilderungen sehr farbig geraten, von der Beschreibung der Südsee bis zum Spiegelhaus hoch oben auf einem Wolkenkratzer von New York. Ernst Augustin erklärt: „Das ist die optische Sehnsucht des Blinden.“ Die Träume des Schriftstellers leuchten in ungeheuer brillanten Farben – und teilweise so herrlich, dass er auf die Knie geht, weil er während des Traumes denkt, wieder sehen zu können.

Für den Schriftsteller Ernst Augustin ist das Leben ein Traum in einem Traum

Auf die Frage, was ihn zum Schreiben gebracht hat, antwortet Ernst Augustin, dass er schon als Kind ständig Traumwelten in seinem Kopf entworfen habe. Der Literat erläutert: „Einmal habe ich wochenlang ein riesiges unterirdisches Labyrinth mit allen möglichen Schikanen zusammenphantasiert. Es gab Falltüren und einen unterirdischen See mit Strand und Wasserfall.“ Der kleine Ernst Augustin war jeden Abend ganz begierig darauf, ins Bett zu kommen, um endliche an seiner Traumstadt weiterbauen zu können.

In den elf Romanen von Ernst Augustin blitzt immer wieder eine umwerfende Komik auf. Der Humor hilft ihm auch dabei, seinen körperlichen Verfall zu ertragen. Er behauptet, dass er es nicht ganz ernst nehmen könne, fast blind zu sein. Denn sonst müsste er aus dem Fenster springen. Sein Grundgefühl ist, in einer großen Traumblase zu leben. Ernst Augustin erläutert: „Das Leben ist ein Traum in einem Traum. Wir befinden uns in einer Lebensschleife, Anfang und Ende sind dasselbe.“ Auch der Tod kann Ernst Augustin nicht schrecken, da er für ihn eine Suche, eine Reise zur Wiedergeburt, ist.

Von Hans Klumbies