Die Erderwärmung lässt sich nicht an nationalen Grenzen aufhalten

Der russische Angriff auf die Ukraine hat dazu geführt, dass endlich über eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur diskutiert wird. Immerhin diskutiert. Die Idee, Robert Menasse möchte sagen: die Einsicht in die Notwendigkeit, gibt es seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, al der französiche Ministerpräsident René Pleven vorschlug, eine europäische Armee und ein europäisches Verteidigungsministerium zu schaffen. Robert Menasse ergänzt: „Seither gab es für diesen Plan regelmäßig Umbenennungen, aber keinen signifikanten Fortschritt in der Umsetzung, der Plan wurde höchsten von einem Regal in der Abstellkammer in ein anderes Regal gelegt.“ Und die Nato-Beitritte von EU-Mitgliedsstaaten schienen auch jede weitere Diskussion obsolet zu machen. Es ist nüchtern betrachtet, schwer zu verstehen, dass sich europäische Staaten lieber unter US-Oberbefehl begeben, als ein souveränes europäisches Sicherheits- und Verteidigungssystem aufzubauen. Seit 1988 lebt der Romancier und kulturkritische Essayist Robert Menasse hauptsächlich in Wien.

Die EU entwickelt sich fort von den Idealen der Gründergeneration

Die Klimakrise: Sogar im Hinblick auf Dekarbonisierung der Industrie, Verringerung der CO2-Emissionen und Ausstieg aus der fossilen Energie wurden Beschlusse gefasst, die vor Kurzem noch undenkbar waren. Robert Menasse stellt fest: „Es ist lächerlich, aber es ist doch ein Fortschritt, dass in Europas Staaten langsam die Einsicht wächst, dass die Erderwärmung nicht an nationalen Grenzen aufgehalten oder innerhalb nationaler Grenzen gestoppt werden kann.“

Ja, die Europäische Union entwickelt sich fort. Nicht so konsequent, wie es möglich gewesen wäre, nicht so radikal, wie es notwendig sein wird, aber sie entwickelt sich fort. Robert Menasse fügt hinzu: „Und so stehen wir heute da, auf halbem Weg mit halber Tat und halben Mitteln – die wir aber davor gar nicht gehabt hatten. Das ist die gute Nachricht.“ Die schlechte Nachricht ist: Die EU entwickelt sich weit fort vom Zauber der Anfänge und fort von den Ideen und Idealen der Gründergeneration.

Der Nationalismus in Europa sollte überwunden werden

Robert Menasse erinnert noch einmal daran, was der Plan war, um zu verstehen, warum sich die EU fort entwickelt, immer weiter fort: „Nach den Erfahrungen mit den grauenhaften, verbrecherischen nationalistischen Kriegen sollte der Nationalismus überwunden werden. Es darf nicht mehr möglich sein, dass ein Land sich über andere erhebt und in „nationalem Interesse“ gegen andere aufrüstet.“ Der Plan war, die Ökonomien der Staaten, die an diesem Projekt teilnehmen, so zu verflechten, dass keiner etwas gegen einen anderen unternehmen kann, ohne sich dadurch selbst zu schaden.

Der Plan war zudem, in der Folge immer mehr nationale Souveränitätsrechte in Gemeinschaftsrecht, nationale Politiken in Gemeinschaftspolitik überzuführen und schließlich etwas völlig Neues zu schaffen, das aber der logische nächste Schritt in der Demokratiegeschichte ist, nämlich eine nachnationale europäische Demokratie. Robert Menasse erklärt: „Das geht, wie jede große Vision, nur in kleinen Schritten. Aber was möglich ist, zeigt sich, wenn man planvoll den ersten Schritt mache, bewusst den nächsten kleinen Schritt, konsequent weiter Schritte.“ Quelle: „Die Welt von morgen“ von Robert Menasse

Von Hans Klumbies